Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, würden die Usbeken heute alle Mercedes fahren

Jaja, die kulturellen Unterschiede sind derzeit unser Thema. Häufig vergesse ich die positiven Seiten der kasachischen Kultur wie z.B. die persönlichen Freiheiten abseits der Transitstrecken und ihren Polizeikontrollen. Wir stehen jetzt seit über einer Woche an einem Gebirgsbach im Nationalpark Ile Alatau, 15 km von der Innenstadt der 1,6 Millionen-Metropole Almaty und campen hier. Um uns herum kommen Menschen und picknicken. Keiner, weder andere Besucher noch die Ranger, nimmt Anstoß an unserem Verhalten. Im Gegenteil, man ist verhalten interessiert an uns und unserer Reise. Man stelle sich vor, ein kasachisches Pärchen würde an den Gestaden der Isar in München ihre Jurte aufschlagen.

Doch da ist ein Unterschied, der ist so kurios, dass ich ihn unbedingt noch erzählen muss. Immer wieder erfahren wir persönlich oder durch die Darstellung anderer Reisender, dass die Sicht auf Deutschland und seine Geschichte in Zentralasien teilweise anders wahrgenommen wird, als wir das in Europa gewohnt sind.

Zurken hat letztens in seinem Blog geschrieben, dass ein Usbeke ihm gesagt hätte, wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, dann würden jetzt die Usbeken wenigstens alle Mercedes und BMW fahren. Ja, was wäre wohl gewesen, wenn die Deutschen und die Japaner den Zweiten Weltkrieg gewonnen hätten?

Erst neulich habe ich ein Science Fiction Audiobook von Philip K. Dick zu diesem Thema gehört. Das Buch hieß „The Man in the High Castle“. Die USA ist aufgeteilt in zwei Besatzungszonen. Der Osten ist deutsches, der Westen japanisches Territorium. Das Buch beschreibt die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, jedoch völlig konträr zum wahren Verlauf der Geschichte. Im Rahmen der Handlung wird ein verbotenes Buch beschrieben, das hypothetisch ausführt, wie die Geschichte auch anders hätte verlaufen können, z.B. wenn Roosevelt rechtzeitig entschieden hätte, dass die USA am Bau einer Atombombe arbeitet. So haben jedoch die Nazis zuerst die Atombombe zur Verfügung gehabt und damit den Krieg für sich und das verbündete Japan entschieden. Eigentlich ein cooles Buch, in Teilen ein wenig zu abgedreht. Dick hat es in seiner paranoiden Drogenphase geschrieben.

Nevertheless, mit dem Gedankengut der Nazis kann ich mich so wenig identifizieren, dass ich nicht auf die Idee käme, dass, wenn Nazideutschland den Krieg gewonnen hätte, „wir“ Deutschen gewonnen hätten. Die Deutschen haben verloren, als sie der NSDAP 1933 ein Drittel ihrer Stimmen gegeben haben, die NSDAP mit der DNVP (Deutschnationale Volkspartei) eine Regierungskoalition bilden und mit dem Ermächtigungsgesetz die Demokratie abschaffen konnte. Mit dem Faschismus kann man keinen Staat machen, geschweige denn die Welt regieren.

Aus der Sicht der Zentralasiaten jedoch…  Schlimmeres als Stalin hätten die Nazis den Menschen in dieser Region kaum antun können. Doch ich glaube, das mit dem Mercedes-Fahren ist eine Milchmädchenrechnung. Die Nazis hätten die von ihnen unterworfene Welt wohl kaum so organisiert, dass sich die Zentralasiaten – in der nationalsozialistischen Rassenlehre „Untermenschen“ – Premiumprodukte aus Deutschland hätten leisten können. Wenn Hitler den Krieg gewonnen hätte, würden die Usbeken statt rüstiger Ladas heute höchstens Autos aus Leukoplast mit Zweitaktmotoren fahren.

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Schmatzen und Schlürfen – oder über das interkulturelle Lernen

Robert Levine schrieb in seinem Buch Eine Landkarte der Zeit – wie Kulturen mit der Zeit umgehen, dass ein Auslandsreisender in der Regel mehr über seine eigene Kultur als über die des besuchten Landes lernt. Vor Antritt unserer Reise hätte ich diese Aussage albern gefunden. Heute verstehe ich, was er damit meint.

Ich bemühe mich, die Kultur meiner Gastgeberländer zu verstehen. Weil ich es spannend finde und bereichernd. Deswegen reise ich ja auch und verbringe nicht das Jahr im Solimare Moers (wobei das sicherlich auch interessante interkulturelle Begegnungen mit sich bringen würde). Ich beobachte die Menschen auf meiner Reise, ich lese über Traditionen und Gepflogenheiten. Ich unterhalte mich mit Einheimischen und frage, insoweit es die Sprachbarrieren ermöglichen.

Doch auch wenn ich einige hiesige Bräuche, ein paar soziale Regeln oder Werte intellektuell nachvollziehen kann, heißt das noch nicht, dass ich sie auch wirklich begreife. Der Grund dafür liegt in einer simplen Einsicht: Jede Gepflogenheit, jede Einstellung kann nur in ihrem vielschichtigen kulturellen Kontext verstanden werden. Und diesen erfasse ich nicht bei einem Einkauf auf dem Wochenmarkt, nicht beim Ballspiel mit ein paar Kindern, ja nicht einmal bei einer Tasse Tee mit einem Greis. Ich glaube es bedarf vieler Jahre intensiven Eintauchens und Lebens in und mit einer Gesellschaft, um wirklich „sehen“ zu lernen. Wenn es überhaupt möglich ist. In meiner schnöden Urlaubsreise hingegen bewege ich mich auf einer anderen Stufe, um wieder auf Levine zurückzukommen. Durch die Auseinandersetzung mit hiesigen „Andersartigkeiten“ beginne ich meine eigene Kultur differenzierter zu betrachten. Ich analysiere eigene Werte und Gepflogenheiten, die ich immer als allgemeingültig wahrgenommen habe.

Ein Beispiel: In der Türkei war ich anfangs „verschnupft“ über die Art und Weise, mit der einige Einheimische unseren Hund behandelten. Sie verjagten ihn, beschimpften ihn oder – das ist glücklicherweise nur einmal passiert – gaben ihm einen Stockhieb auf die Nase. Dann lernte ich, dass Hunde im Islam als „schmutzige Tiere“ gelten. Das war mir neu. Mit dieser Erklärung verstanden wir das Verhalten unserer Gastgeber besser und bekamen die Möglichkeit, uns kulturell anzupassen: Wir hielten Loukas ab sofort in der Öffentlichkeit näher bei uns, verboten ihm Fremde anzuspringen und ließen ihn bei Einladungen im Bus. Trotzdem habe ich diesen Ekel vor unserem (wirklich zuckersüßen Hündchen) nie wirklich verstanden. Stattdessen wurde mir deutlich, wie nah sich Mensch und Hund in meinem eigenen Kulturkreis sind. Niemand ist bei uns überrascht, wenn man einen Hund als Gefährte, Freund oder gar Familienmitglied bezeichnet. Man widmet ihm viel Zeit und Aufmerksamkeit. Und wenn er stirbt, dann trauert man um ihn. Aussagekräftig finde ich den Kommentar eines befreundeten Hundebesitzers. Der sagte mal zu mir: „Kinder sind doch wirklich ein schlechter Hundeersatz“. Es wäre sicher interessant, einen kappadokischen Bauern einmal mit dieser Aussage zu konfrontieren.

Ich erlebe auf der Reise auch Gepflogenheiten, die ich noch nicht intellektuell verstanden habe, und die trotzdem zu einer Auseinandersetzung mit meiner eigenen Kultur führen. Dazu gehört das kasachische „Ich zuerst“-Spiel. Das gibt es wirklich. Mein Reiseführer hat mich schon vorab darüber informiert. Dummerweise hat die Autorin vergessen Tipps zu geben, wie man es richtig spielt. Ich erlebe es hier fast täglich: im Lebensmittelgeschäft, beim Wasser holen, im Straßenverkehr. Schon 30 Kilometer hinter der Grenze in meinem ersten Supermarkt ereignete sich folgendes: Ich war die nächste an der Kasse und hatte bereits sämtliche Artikel auf das Band geräumt. Sechs (!) andere Kunden drängelten sich kreuz und quer an mir vorbei. Jeder von ihnen hatte einen Grund, den die Kassiererin für wichtig genug erachtete, um sie vorzulassen und mich zu ignorieren. Über meinen Kopf reichten sie Wasser- und Wodkaflaschen und warfen Tengescheine. Ja, und ich stand da wie Hein-Blöd und durfte nicht mitspielen. Erst als ich allein an der Kasse stand, kam ich dann auch mal dran. Das Interessante an diesem – in meinem Kulturkreis sicherlich als unverschämt einzustufenden – Verhalten ist, dass es hier funktioniert! Die Läden, Ämter und Straßen sind voll von Vordrängelnden und Zurückgedrängten. Niemand schimpft. Keilereien gibt es nicht.  Alle sind freundlich zueinander und lächeln dabei. So ungeduldig wie die einen sich vordrängeln, so geduldig warten die anderen. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, die in meinem Kulturkreis gültige Volksweisheit „Wer zuerst kommt malt zuerst“ und das heilige „Schlangestehen“ in Frage zu stellen.

Dann gibt es noch die Variante, dass ich die Gründe einer Gepflogenheit nicht verstehe und trotzdem äußerst einverstanden bin mit ihr. In unserem Kulturkreis ist es unfein – ja es wird zuweilen sogar als eklig angesehen – wenn man schmatzend isst und schlürfend trinkt. Ich habe das noch nie verstanden. Erstens macht es Spaß und zweitens schmeckt es so einfach besser. Ich glaube, nicht ohne Grund schmatzen und schlürfen Kinder, bevor ihnen ihre Eltern beibringen, dass man „das nicht tut“. Zu Gast bei Kasachen beweist man hingegen gute Tischmanieren, wenn man schmatzt und schlürft was das Zeug hält. Es zeigt dem Gastgeber, dass es schmeckt. Auch das steht in meinem Reiseführer. Neulich, bei Galymhan und Samchan in Turkestan, habe ich mich daran erinnert und es prompt ausprobiert. Von der Gastgeberin erntete ich ein zufriedenes Lächeln, als ich meine Suppe geräuschvoll schlürfte. So macht interkulturelles Lernen Spaß!

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Mount Sylvia, 3511 m

Heute Morgen haben wir die Ranger überlistet, sind schon um 5.00 Uhr aufgestanden und waren um 6.30 Uhr mit dem Motorrad an der Schranke, an der wir bei unserer letzten Fahrt in die Berge zu Fuß weiter mussten. Wie erwartet war die Schranke offen und kein Ranger weit und breit. An einem Militärlager hinter der Sternwarte war dann jedoch wieder Schluss. Eine Schranke mit Stoppschild und Schloss versperrte den Weg. Wir ließen das Motorrad stehen und gingen zu Fuß weiter. Immerhin waren wir schon auf 2.700 Höhenmetern.

 

Die Soldaten waren um 7.00 Uhr morgens noch beim Essenfassen und Antreten, sonst hätten wir an der Schranke noch mit einem Wachsoldaten diskutieren müssen, ob wir überhaupt zu Fuß weiterdürfen. Auf dem Rückweg konnten wir sehen, wie eben solch ein Wachsoldat zwei Mountainbiker nur nach Diskussionen durchgelassen hat. Auf dem Rückweg wurden wir übrigens auch von einer Militärstreife kontrolliert. Gut, dass wir immer brav die Pässe dabei haben und uns bei der Immigrationsbehörde haben registrieren lassen.

Schnell hatten wir die 3.000er Grenze genommen, was uns zu spontanen Gesichtsmuskelübungen animierte.

 

Wir folgten der Straße, bis zu ihrem Ende auf 3.300 Metern an einem sowjetischen Pionierdorf mit dem Namen Kosmostrajava oder so ähnlich. Tatsächlich lebten hier noch Menschen, auch wenn der Großteil eher verlassen aussah.

     

Der Ski hatte übrigens einmal eine echte Funktion. Er war in den Boden gerammt und mit einem Kabel mit einem Stecker am Ende umwickelt, das zu der Station im Hintergrund führte. Wahrscheinlich war hier ein Wettermessgerät angeschlossen, das mit einem der fachmännisch entsorgten Computer verbunden war. (Ich sollte mal aufhören, mich ständig über den Müll in Kasachstan aufzuregen und einfach mitmachen. Bei der Entsorgung unserer Exkremente habe ich mich schon ganz gut angepasst. Was ich in Griechenland noch mühsam verbuddelt habe, kippe ich in Kasachstan – natürlich ohne Chemie – hinter den nächsten Busch. Fällt hier überhaupt nicht auf und wird auch schnell abgebaut. Nach ein, zwei Regenfällen sieht man bereits kaum noch etwas.)

Auf dem Gipfel von Mount Sylvia, der eigentlich nur eine kleine Erhebung im Kontrast zu den umgebenden 4.000ern ist und daher bis heute namenlos war, konnten wir ein perfektes Alpenpanorama bestaunen und in der Ferne Almaty unter einer braunen Dunstglocke erspähen. Dort trafen wir auch die drei Amerikaner Sam, Matt und Canyon, die minutenlang darüber diskutierten, wo die Sommerolympiade 1976 stattfand. Sie einigten sich auf Montreal.

     

Gut, dass niemand sah, wie Sylvia sich die Nase putzte. Das wird in Kasachstan als äußerst unfein angesehen. Will man sich gesellschaftlich korrekt verhalten, zieht man den Schnodder durch die Nase hoch. Daran könnte ich mich sehr gut gewöhnen. Soll eh gesünder sein. Beim Abstieg noch schnell ein paar Blumen fotografiert und die Spuren der ehemaligen Viehwirtschaft dokumentiert, die jetzt im Nationalpark nicht mehr erlaubt ist.

     

Den zugehörigen GPS-Track werden wir demnächst auf egotrek veröffentlichen, dem Sponsor unsers Navigationsgerätes, das ich auf dieser Reise besonders im Zusammenhang mit Open Street Maps zu schätzen gelernt habe.

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Ich verstehe die komischen Deutschen nicht

Wieso fliegen sie nicht hierhin und leben im Hotel? Sie kommen doch aus Deutschland, dem Land, wo Mercedes und BMW gebaut werden, und Audi und Volkswagen, wo es überall Autobahnen gibt. Dort sind doch alle reich. Und dann kommen sie mit so einem alten Transporter hierhin und schlafen auch darin. Ich kann sie nicht einordnen. Sind sie jetzt arm oder reich?

Im Auto schlafen ist wie Zelten, und Zelten ist sowas von out. Unsere Vorfahren haben in Zelten gelebt, wir sind fortschrittlich und wohnen in Häusern und Wohnungen. Und mit so einer lahmen, alten Kiste hat man sich im Verkehr unterzuordnen, da kann sich dieser Langhaarige noch so aufregen. Da macht man Platz. Respekt bekommt man, wenn man sehen kann, dass man wohlhabend ist. Weiß er das nicht?

Sie sagen, sie machen ein Jahr Urlaub. Ja, müssen sie denn nicht arbeiten? Sind sie jetzt arm oder reich? Wieso zeigen sie nicht, dass sie reich sind, wenn sie es sich leisten können?

Und wo sind eigentlich ihre Kinder? Wie, keine Kinder? Da kann man doch keine Familie gründen! Familie ist das wichtigste im Leben. Ohne Familie würde ich mich fühlen, als hätte man mir beide Beine amputiert. Können sie sich vielleicht keine Kinder leisten? Stattdessen haben sie diesen ekligen Hund, den sie dauernd streicheln. Widerlich. Ein Hund leckt sich dauernd seine Genitalien und sein Popoloch. Falls überhaupt gehört ein Hund nach draußen an die Kette, aber nicht in die Wohnung.

Einzig das Motorrad, das hätte ich auch gern. Ein Motorrad ist ein Luxusgut der Reichen. Und dann auch noch eine BMW.

Okay, sie sind vielleicht ein bisschen reich. Aber komisch sind sie schon, diese beiden kinderlosen Deutschen mit Hund, die in ihrem Auto schlafen.

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Es geht bergauf

Nachdem ich mich eine Woche lang mit Lichtmaschine, Radlager, Reifen, Rücklicht, Auspuff und Steuerkettenspanner herumgeschlagen habe, kann ich so langsam wieder entspannen. Freunde, die uns Ende August für 10 Tage in Kirgistan besuchen kommen, bringen uns Ersatzteile für das Auto und das Motorrad mit, so dass wir für die Rückfahrt auf der sicheren Seite sind.

     

Sylvia hat indes für Ordnung in und um den Bus herum gesorgt. Umweltbewusstsein wird in Kasachstan klein geschrieben, da hilft auch die Auszeichnung „Nationalpark“ wenig. Dabei stehen an jeder Ecke Mülltonnen herum.

     

Heute hatten wir das erste Mal Zeit und Muße, die Natur zu erkunden, und sind mit dem Motorrad weiter in die Berge gefahren. An einer Schranke auf 2.200 Höhenmetern, die zwei Tag zuvor bei meinen ersten Auskundschaften noch nicht geschlossen war, trafen wir auf einen Ranger. Sylvia hat sofort die Nationalparkexpertin heraushängen lassen. Zu Fuß ging es dann weiter immer entlang der Wasserleitung, die Almaty mit Wasser versorgt, vorbei an sowjetischen Denkmälern. Das Wegenetz folgt hier der technisch bedingten Infrastruktur.

     

Am Ende der Leitung wartete dann der entnazifizierte Almatiner Stausee auf 2.500 Höhenmetern. Doch wir waren noch nicht müde und folgten der Straße noch ein wenig.

     

Drei Kehrtwenden später und nach dem Einbiegen in einen Feldweg tauchte dann wie aus dem Nichts eine Sternwarte mit sowjetischem Charme und modernem Radioteleskop auf.

     

Auch hier zählt das Motto: Die Natur Natur sein lassen. Spannend ist, dass bereits vor Jahrzehnten die Sonnenenergie zum Heizen genutzt wurde, heute aber nicht mehr. Die Technik, Sonnenlicht in elektrische Energie umzuwandeln, ist so alt wie die Dampfmaschine. Leider ist der Energiegehalt von Kohle und Öl (letztendlich ja auch Sonnenenergie, allerdings über Jahrmillionen gespeichert) höher.

     

Den weiteren Verlauf der Straße zum Issy Kul müssen wir ein anderes Mal mit dem Motorrad erkunden. Zu Fuß ist die Strecke für einen Tagesausflug zu weit.

 

 

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Warum ich gerade so mies drauf bin

Im Augenblick fällt es mir schwer, unsere Reise zu genießen. Da ist eine gewisse Reisemüdigkeit, die sich in mir breit macht. Ein Jahr ist zu lang. Ein halbes Jahr bis neun Monate sind vollkommen ausreichend. Es wiederholt sich alles irgendwie.

Ich sitze hier gerade an einem Gebirgsbach auf 1.700 Höhenmetern am Rande des Tienchan-Gebirges, 6.500 Kilometer und drei Wochen Fahrzeit von zuhause entfernt. Eigentlich ein idealer Standplatz. Angenehme Temperaturen, Duschwasser vor der Tür, Trinkwasser an einer Quelle drei Kilometer talabwärts und ein kleiner Market vier Kilometer in dieselbe Richtung. Ein bisschen zu viel Trubel für meinen Geschmack. Das Zentrum von Almaty ist gerade einmal 15 Kilometer entfernt. Am Wochenende kommen hier viele Locals hin, um ein Picknick zu machen.

Doch die Nähe zur Stadt ist uns gerade wichtig. Wir müssen ziemlich viel regeln. Die Fahrt hierhin haben unser Auto und das Motorrad nicht unbeschadet überstanden. Am Motorrad ist der Steuerkettenspanner ausgeleiert. Eine Schwachstelle der BMW F 650, die sich durch lautes Klackern bei laufendem Motor bemerkbar macht. Die Steuerkette schlägt halt von innen gegen das Zylinderkopfgehäuse. Doch der Mechaniker in der Motorradwerkstatt hat ihn ausgebaut und gereinigt. Dafür wollte er übrigens kein Geld. Sehr nett! Jetzt funktioniert der Spanner wieder, und da wir die Strecke nach Hause nicht auf dem Bike absolvieren müssen, werde ich ihn wohl erst in Deutschland austauschen. Der Gepäckträger vom Moped war auch gebrochen. So etwas bekommt man hier jedoch in jeder Hinterhofwerkstatt für 2,50 Euro geschweißt. Die Schäden am Motorrad resultieren allein aus dem Transport. Das Gerüttel auf den Straßen hat wahrscheinlich in Zusammenhang mit dem eingelegten ersten Gang am Motorrad die Steuerkette beschädigt und über die Spanngurte auch den Gepäckträger überlastet.

Dann brauchten wir neue Hinterradreifen am Auto. Die waren bei Antritt der Reise nicht mehr die neuesten, und wir sind jetzt schon 20.000 Kilometer auf dieser Reise gefahren. Die Spur mussten wir auch einstellen lassen. Nach einem Aufsetzer der Sturzhalterung an einer Bodenwelle bei Baikonur haben wir die Spur nur optisch einstellen lassen. Kostenpunkt beim Reifenhändler: insgesamt 200 Euro. Kleinigkeiten wie das Rücklicht des Anhängers habe ich mit Bordmitteln beheben können. Doch auch unsere Lichtmaschine macht Probleme. Sie liefert 30 bis 40 Volt Ladespannung statt der normalen 14 Volt, was nach einer Recherche im Internet nur mit einer defekten Gleichrichterdiode zu erklären ist. Morgen fahre ich mit dem Motorrad und der ausgebauten Lichtmaschine los, um eine neue zu organisieren bzw. eine Werkstatt zu finden, die einen solchen Schaden reparieren kann.

Die Organisation von Reparaturen ist aufgrund der Sprachbarriere und der fremden Stadt sehr aufwendig. Seit knapp einer Woche sind wir jetzt schon so häufig kreuz und quer durch Almaty gefahren, dass ich die Hauptverkehrsstraßen wiedererkenne und ich bald auf das Navi verzichten kann. Ich freue mich ein wenig darauf, morgen mit dem Moped zu fahren, da die Fahrerei mit unserem Gespann durch die Staus sehr nervig war.

Die vielen Schäden treiben mir die Sorgenfalten auf die Stirn. Bisher sind wir keine 1.000 Kilometer ohne irgendein kleineres oder größeres Problem davongekommen. Wir fahren jetzt hier in der Gegend um Almaty und Bischkek mindestens noch weitere 1.000 Kilometer und die Rückfahrt schlägt auch noch einmal mit ca. 7.000 Kilometern zu Buche. Das bedeutet noch einmal acht Schäden unterschiedlichster Natur, die wir meistern müssen. Mir wird schwindelig bei dem Gedanken.

Der Fahr- und Reparaturstress lässt mein Augenlid zucken. Dieses Symptom kenne ich nur von Überarbeitung. Das war so nicht im Konzept der einjährigen Auszeit eingeplant. Vielleicht werde ich ja aber auch einfach nur ein griesgrämiger alter Sack. Immerhin werde ich jetzt 44. An die grauen Haare habe ich mich bereits gewöhnt. Die Falten jucken mich wenig. Dass ich jetzt bald eine Lesebrille brauche, nervt mich schon mehr. Aber dass meine Knie nach 2.000 Höhenmetern Wandern anfangen zu schmerzen, treibt mich in eine mittlere Midlife-Crisis. Wenigstens habe ich eine zehn Jahre jüngere Freundin.

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Endlich Regen

Zum ersten Mal seit der Ukraine regnet es. Eine wahre Erleichterung nach fast vier Wochen Hitze, Staub und Dürre. Wir haben kaum eine Nacht bei Temperaturen unter 30 Grad geschlafen. Tagsüber litten wir bei 40 Grad im Schatten. Das Dumme nur: es gab nirgends Schatten. Karsten hat alle halbe Stunde sein T-Shirt nass gemacht, um es halbwegs auszuhalten. Auch Loukas haben wir regelmäßig Wasser über das Fell gegossen. Jetzt prasseln dicke Regentropfen auf das Dach, überall um uns herum platscht es. Die Temperaturen sind runter auf geschätzte 23 Grad. Die Luft weht frisch vom Berg.

Wir stehen etwa zehn Kilometer südlich von Almaty am Fuße des Tian Shan-Gebirges. Dies ist ein guter Ausgangspunkt für all die Checkereien, die jetzt vor uns liegen: Ersatzteile besorgen, Auto reparieren, Kontaktlinsen für Sylvia besorgen, Reiseführer Kirgistan von der Post abholen (zum ersten Mal Poste Restante bestellt, bin gespannt ob es geklappt hat), Zahnarzt (mir ist letzte Woche ein Schneidezahn abgebrochen), Karsten braucht dringend eine neue kurze Hose (und einen neuen Haarschnitt, bei dem Thema ist er aber stur). Ich freu mich auch auf einen Einkauf in einem überteuerten Supermarkt mit Luxus-Produkten wie Käse, Oliven und Gemüse. Wir essen seit Wochen Brot, Wurst, Eier, Fischkonserven, Bohnen, Tomatenpaste. Als einziges Gemüse gibt es Tomaten, manchmal Gurken. Und täglich essen wir Melonen, denn unsere beiden kasachischen Mitfahrer Galymhan und Samchan haben uns in Turkestan gleich sieben Stück davon geschenkt.

  

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Von Schymkent nach Almaty

Jaja, ich weiß. Ein Artikel tiefbetrübt, der nächste himmelhochjauchzend. So ist das auf einer Reise der Extreme.

Wir haben uns die letzten Tage ziemlich ins Zeug gelegt und Kilometer gemacht. Während wir jetzt schon am Ziel angekommen sind, hängen unsere Seelen noch irgendwo auf der Strecke zwischen Schymkent und Almaty. Ich versuche mal, sie wieder einzufangen…

In Schymkent laufen wir durch die Straßen, sehen Brunnen mit einer riesigen metallenen Tulpe, fotografieren lustige, postsowjetische Wandbemalungen und landen in einem Park mit Kriegsdenkmälern für einen Krieg, in dem Mensch und Hund Seite an Seite gekämpft haben.

     

Dass ausgerechnet die Russen die Herkunft eines Reifens für Panzerwagen auf Englisch hinterlegen, zeugt davon, dass die Welt zusammenwächst!

 

Wir krönen unseren Aufenthalt mit einem Schaschlik und bekommen Heimatgefühle, als wir an einer Podologiepraxis vorbeikommen. Später auf der Straße trefen wir erneut auf Relikte aus der Heimat.

     

Die Landschaft verändert sich. Hinter einer Moschee tauchen plötzlich Berge auf, und die Straßen werden hügeliger. Allerdings sind die angekündigten 12 % meistens gelogen. Anscheinend wurden von diesen Schildern irgendwann einmal zuviele hergestellt, und dann hat man sie einfach vor jedem Anstieg, den man noch locker im 4. Gang fahren kann, aufgestellt. 50 km vor Taras landen wir an einem Stausee und lernen den Russen Paul und seine Angelkollegen kennen.

     

Am nächsten Tag suchen wir in Taras einen Bankomaten und Autogas. Da hält ein Biker an und fragt uns in perfektem Englisch, ob wir Hilfe brauchen. Er nennt sich Russell. Wir kommen ins Reden und ich darf auch mal auf seiner Kiste sitzen, denke aber, dass sie nicht zu meinem Haarschnitt passt. Er erzählt, dass vor ein paar Tagen ein Biker aus Ungarn hier vorbeigekommen sei. „Roland“, rufe ich laut aus und er grinst mich an. Ja, er hätte sich mit ihm angefreundet. Unglaublich. Roland haben wir 1.500 km von hier in der Wüste getroffen. Russell fährt mit uns durch die halbe Stadt, um einen Bankomaten und eine Autogastankstelle zu finden.

 

Auf der weiteren Fahrt Richtung Almaty geraten wir in einen Sandsturm. So etwas Widerliches! Man sieht teilweise nichts mehr, wirklich gar nichts mehr, und der Staub zieht durch jede noch so kleine Ritze ins Auto. Am abendlichen Standplatz 500 Meter neben der Straße sehen wir unsere erste Schlange. Sie ist ca. 1,5 Meter lang, und statt abzuhauen richtet sie sich auf und zischt nach uns. Ich werfe mit kleinen Steinen nach ihr, was sie dazu veranlasst, sich in ihr Erdloch zurückzuziehen. Wir stellen den Wagen für die Nacht 100 Meter weiter.

     

Am nächsten Morgen beschließe ich, dass wir noch am selben Tag Almaty erreichen. Ich will endlich ankommen. Die letzten 360 Kilometer sollten auf den halbwegs guten Straßen in einem Tagewerk zu machen sein. Die Straßen sind leider doch nicht so gut und teilweise mit Schlaglöchern und Bodenwellen vermint. Das Unterfangen wird eine ziemliche Plackerei und zehrt an unseren Nerven. Wir kommen trotzdem an und lernen als erstes, welche Bank Gerard Depardieu preferiert.

 

Morgen schauen wir uns erstmal nach einem ordentlichen Standplatz in den Bergen um, die 10 km hinter der Stadt beginnen. Dann müssen wir uns in den nächsten drei Wochen darum kümmern, dass unser Auto auch wieder den Rückweg schafft. Wir brauchen neue Reifen, unsere Lichtmaschine macht Faxen und das linke vordere Radlager quietscht.

Just als ich diese Zeilen tippe und Sylvia und der Hund neben mir eingschlafen sind, höre ich, wie unsere Seelen gegen die Rückwand unseres Autos klatschen. Jetzt kann auch ich beruhigt schlafen gehen.

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Policetalk

Da man damit rechnen muss, in Kasachstan mit einem auffälligen Gefährt im Schnitt mindestens einmal pro Tag von der Polizei kontrolliert zu werden, sollte man ein paar Brocken Russisch beherrschen. Das Gespräch beginnt normalerweise damit, dass sich der Polizeioffizier kurz vorstellt und dabei zum Gruß seine Hand an seinen lustigen Pizzahut anlegt. Vorteilhaft ist es, ihm direkt zu diesem Zeitpunkt schon die Pässe in die Hand zu drücken. Dann ist er beschäftigt. Im Pass sollte natürlich auch die von der Migrationsbehörde abgestempelte Migrationskarte zu finden sein.

Die erste Frage des Polizisten lautet meistens: „Adkuda?“ Das heißt „woher“. Schön brav antwortet man: „Germania“. Meist kommt ein erstauntes „Ah, Germania!“ zurück. Dann die Frage: „Kuda?“, das heißt „wohin“. Unsere Standardantwort auf dem Hinweg war: „Almata.“. Dann die Aufforderung „Dokument maschina“, die zur Aushändigung der Fahrzeugpapiere führt. Auch den Führerschein möchten die Staatsdiener sehr gerne sehen. Hierfür ist die Vokabel „prava“ nützlich. An dieser Stelle sollte man mit dem internationalen Führerschein aufwarten können, den man artig vor der Reise beim heimischen Straßenverkehrsamt beantragt hat. Die Frage nach der kasachischen Autoversicherung lautet: „Strachovanja kasachski?“ Diese erhält man in Kasachstan in einem der Versicherungsbüros in den Städten und kostet für drei Monate circa 30 Euro. Manchmal wird mit „Patschemu Kasachstan?“ (Warum Kasachstan?) nach dem Grund des Aufenthaltes gefragt. „Tourist“ ist hier die beste Antwort. Alle weiteren Fragen sollte man mit „Ne panemaju“ (Ich verstehe nicht) beantworten, denn im Policetalk ist es durchaus sinnvoll, nicht allzuviel zu verstehen.

Sollte man eine Verkehrswidrigkeit begangen haben, kann es passieren, dass der Uniformierte einen süffisant anlächelt und „Straf“ sagt. Wenn man wirklich interessiert ist, kann man das mit einem „Patschemu?“ entgegnen. Wenn man den Grund für die Strafe nicht einsieht, hilft die Androhung , die Deutsche Botschaft zu kontaktieren: „Telefon Pasollstwa Germania“. Bei uns hat das geholfen, einmal ohne Autoversicherung davon zu kommen. Ansonsten erfolgt die Frage nach dem Betrag: „Skolka Tenge?“ (Wieviel Tenge?). Ist der Betrag unglaublich hoch (30 Euro oder mehr) haben wir die Polizisten aufgefordert, ihre Namen und Dienstnummern aufzuschreiben. Das hat dazu geführt, dass wir ohne die Strafe bezahlen zu müssen weggeschickt wurden.

Polizeikontrollen findet man fast ausschließlich an Aus- und Einfahrtsstraßen der Städte, an großen Verkehrskreuzungen und an Territoriumsgrenzen. Manchmal lungert die Polizei auch hinter verlassenen Bahnübergängen mit Stoppschildern. Da es in Kasachstan kaum Radargeräte gibt, sind die Hauptverkehrsdelikte Fahren ohne Abblendlicht bei Tag und Missachtung von Stoppschildern, die teilweise grundlos auf gerader Strecke aufgestellt sind. Also, wenn mitten im Nichts ein Stoppschild auftaucht, schön brav anhalten, denn man kann sicher sein, dass eine Polizeikontrolle dahinter wartet.

Als Alternative zu den Diskussionen mit den Blauhemden kann man auch direkt einen 200-Tenge-Schein (ca. 1,20 Euro) in den Pass legen. Das haben wir bisher jedoch noch nicht ausprobiert, wird aber in unserem Reiseführer empfohlen. Oder man fährt einfach weiter. Erst gestern konnten wir einen LKW-Fahrer beobachten, der nach deutlicher Aufforderung anzuhalten glatt aufs Gas gegangen ist. Dabei hat der Beifahrer auch noch Faxen zum Polizisten gemacht. Cool! Trauen wir uns aber nicht.

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Steppenwind

  

Steppe kann man nicht erklären. Steppe ist ein Gefühl. Ein überwältigendes zuweilen. Ich versuche es trotzdem mit ein paar Worten: In der Steppe blicke ich so endlos weit wie auf das Schleswig-Holsteinische Wattenmeer bei Ebbe. Es riecht nach Kräutern – nein, nach Kräutertee. Ich höre nichts – die Steppe ist stiller als alles was ich bisher nicht gehört habe. Die Steppe scheint leblos, leer. Und wenn dann doch etwas jäh ins Blickfeld gerät, wirkt es so groß, so bedeutungsvoll, so lebendig: Erdmännchen rasen durch den Staub, Kamelherden und Pferde suchen nach ein bisschen Grün, teilen sich ein Wasserloch, Steppenadler kreisen und suchen vermutlich nach den Erdmännchen. Die Steppe ist heiß in der Mittagssonne. Heißer als die Aufgusssauna in den Aachener Carolusthermen. Der Steppenwind fühlt sich an wie Stufe 3 meines 1.200 Watt-Föns. Die Sonne geht nicht unter in der Steppe. Sie verschmilzt mit ihr blutrot.

Eckhart schreibt in seinem Reiseblog über die Steppe: „Wenn es keine Ablenkung mehr gibt, dann sieht man nur sich selbst, und das recht ungefiltert.“ Treffender kann ich es nicht formulieren. Und warum Hermann Hesse seinen Steppenwolf ebenso nannte, kann ich erst begreifen, seitdem ich sie gefühlt habe. Die Steppe.

       

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