Die meisten Geschichten sind irgendwie schon einmal erzählt. Und auch diese Geschichte scheint auf den ersten Blick stereotyp: Ein Pärchen nimmt sich für ein Jahr eine Auszeit und geht auf Reisen, trifft auf fremde Kulturen und bringt viele tolle Fotos und Anekdoten mit.
Doch für mich ist diese Geschichte noch nicht erzählt. Allein die Rahmenbedingungen bergen so viele Unwägbarkeiten, dass eine Vorhersehbarkeit schwierig wird. Da ist erst einmal der Bus: 34 Jahre alt, zig-mal geschweißt und wahrscheinlich noch der erste Motor, der im Schnitt 1 Liter Öl auf 500 km einfach so mitverbrennt. Quasi als Alterszuschlag. Er hat die letzten drei Jahre und 20.000 km gehalten, warum sollte er nicht das nächste Jahr und weitere 20.000 km halten? Ich gehe trotzdem von einem kapitalen Motorschaden aus, der unser gesamtes Improvisationstalent und unsere Energie für mindestens zwei bis drei Wochen binden wird. Ich erwäge ernsthaft, Übermaßkolben, Kolbenringe, Ventile, Ventilschaftdichtungen und eine Zylinderkopfdichtung profilaktisch mitzunehmen, damit wir im Ernstfall die Teile nicht auch noch organisieren, sondern „nur“ eine Zylinderschleiferei finden müssen.
Dann ist da die riesige Menge an Zeit, die mit Inhalt gefüllt sein will. Die letzten Jahre haben mir mein Job, meine Weiterbildungen und mein Konsumverhalten diese Aufgabe abgenommen. Ich habe mich in den stressigen Zeiten immer nach einer Auszeit gesehnt, doch jetzt habe ich Angst vor Langeweile, Leere und sinnlosem Rumhängen. Okay, wahrscheinlich mache ich mir zuviele Gedanken, und ich schraube sowieso die halbe Zeit am Bus herum, und die andere Hälfte verbringen wir mit Fahren, Einkaufen, Stellplatz finden etc. Trotzdem fehlt mir das Bild von einem ausgeruhten, in sich ruhenden Karsten, der die freie Zeit genießen kann. Das wird noch eine spannende Reise ins Selbst, die für mich am wenigsten vorstellbar ist.
Zu guter Letzt wird das auch noch eine Reise in die Beziehung. Die vergangen vier Jahre haben Sylvia und ich auf 96 qm gewohnt und durch unsere Jobs in der Woche eher nebeneinander hergelebt. Einzig die Wochenenden haben wir aktiv gemeinsam gestaltet. Jetzt wollen wir 365 Tage auf ca. 6 qm Wohnfläche mit immerhin variblem Vorgarten und Hintergrundkulisse zusammen verbringen. Das haben wir bisher nur in dreiwöchigen Urlauben geprobt, die jedoch immer streng durchorganisiert waren. Wir werden uns wahrscheinlich mitunter gegenseitig gehörig auf den Sack gehen. Gut, dass wir uns noch ein Vorzelt mit einhängbarer Schlafkabine besorgt haben.
Das einzig Sichere an unserer Reise scheint noch die Route zu sein, die von zwei äußeren Faktoren strukturiert wird:
Den Winter bis einschließlich Februar müssen wir am südlichen Mittelmeer verbringen, da Kälte gepaart mit Dunkelheit des Wohnmobilisten sein Tod sind. Die Klimatabellen sind da eindeutig: entweder Südportugal und Marokko oder Südostgriechenland und Südtürkei. Und möglichst immer nah an der Küste, da dort das Meer für Durchschnittstemperaturen von 15 Grad sorgt. Weil wir grundsätzlich Richtung Osten wollen, fiel die Wahl logischerweise auf Ouzo- und Rakiland.
Der Sommer ist geprägt von unserem fernsten und höchsten Ziel: das Tienchan-Gebirge mit 7500 Meter hohen Bergen in Kirgisien. Da braucht man vor August gar nicht aufzukreuzen, wenn man halbwegs schneefreie Zustiege erwarten will. Für dieses Land gibt es nur einmonatige Touristenvisa. Für Kasachstan, das auf dem Weg dorthin und auch im Fokus unseres Interesses liegt, bekommt man ein Touristenvisum für drei Monate. Da wir über Kasachstan nach Kirgisien ein- und wieder ausreisen, wollen wir frühestens Mitte Juni bei den Kasachen einreisen, im August zu den Kirgisen und spätestens Mitte September Kasachstan dann wieder verlassen. In Russland dürfen wir uns zwar auch nur insgesamt drei Monate aufhalten, jedoch über ein Jahr verteilt.
Alle anderen Aspekte der Reise sind nur in einem sehr groben Planungsstatus und werden sich auch erst mit der Abfahrt peu à peu konkretisieren.
Karsten
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