Reisen hält jung

Dies ist ein Aufruf an alle, die in Rente sind bzw. kurz davor stehen. Verkauft eure Häuser und Eigentumswohnungen! Kratzt euer Erspartes zusammen und kündigt eure Mietverträge! Und dann reist! Mit dem Wohnmobil, mit dem Segelboot oder mit dem Rucksack. Denn reisen hält jung.

Die Rentner, die wir unterwegs getroffen haben, sprühen vor Leben. Ihr Alter von zum Teil 70 Jahren ist ihnen nicht anzumerken. Wir sitzen am Feuer, grillen und trinken Wein. Wir unterhalten uns nett beim Kaffee und tauschen Reiseerfahrungen aus.

Jürgen und Johanna aus Hannover (beide 70 Jahre), seit elf Jahren quer durch die Welt mit dem Wohnmobil unterwegs. Sie scheuen sich nicht, auch durch Länder wie Albanien oder Russland zu fahren, und waren auch schon mehrfach mit dem Wohnmobil in Nordamerika. Sie sind die erfahrensten und durchorganisiertesten Camper, die wir bisher getroffen haben.

Patrick und Annie aus Lille in Frankreich (Mitte 60 und 56 Jahre), seit einem halben Jahr Wohnmobilisten mit großen Reiseplänen für die Zukunft.

Und dann sind da noch Werner und Ursula aus Bayern (geschätzte 70 und 65 Jahre). Werner ist das ganze Leben auf dem Sprung. Ursula benötigt hin und wieder die Heimaterde. Ihr Kompromiss: Während einer Überwinterung fliegt sie zwischendurch für einen Monat nach Deutschland. Bei Flugkosten von 150 bis 200 Euro hin und zurück ist das auch kein wirtschaftlicher Beinbruch.

Mangelnde Englischkenntnisse sind grundsätzlich kein Problem. Kein Englisch sprechen auch viele andere  Menschen im Ausland. Eine Verständigung für die grundsätzlichen Belange im Leben ist trotzdem jederzeit möglich. Die lustigste Unterhaltung hatte ich am Morgen des 24.12. mit einem fahrenden Weinhändler. Er:  „Hup, hup.“ Ich zu Sylvia: „Ok, ich geh mal raus.“ Er: „Jermani?“ Ich: „Nä.“ (Nä heißt auf Griechisch lustigerweise Ja) Er: „Merkel?!“ Ich mit zuckenden Armen: „Merkel!“ Und dann musste ich ein Glas Wein trinken und ihm für zehn Euro drei Liter Landwein abkaufen, der übrigens mit das Beste war, was wir in Griechenland bekommen haben.

Also, lasst den Kasten Bier und den Wein im Keller. Hört auf zu rauchen, falls ihr das noch immer nicht drangegeben habt. Hört auf zu träumen und fangt an zu planen. Zurückkehren kann man immer. Ein Tag, an dem man neue Freundschaften schließt, ist mehr wert als ein Jahr Couch und Fernsehen.

Angst hat man lediglich vor dem, was einem fremd ist. Um die Angst loszuwerden, hilft es nur, sich dem Fremden zu öffnen. Und erst dann bemerkt man, wie offenherzig die Welt eigentlich ist.

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90 Tage = 12 Wochen = 3 Monate

Vor einem halben Jahr habe ich mich gefragt, wie ich mich fühlen werde, wenn drei Monate der Auszeit herum sind und ich realisiere, dass noch immer neun Monate vor uns liegen. Jetzt kann ich sagen: normal. Kein Glücksgefühl aus heiterem Himmel elektrisiert mein Stimmungszentrum. Die Auszeit ist zur Normalität geworden. Und dass noch neun Monate übrig sind und noch ausreichend Geld auf dem Konto ist, balsamiert die Ahnung im Hinterkopf, dass diese Zeit auch wieder zu Ende gehen wird.

Das einzig wirklich Erstaunliche ist die Gewöhnung. Uns war bewusst, dass wir im Winter längere Zeit an einem Ort am Meer verbringen würden. Den Platz dafür haben wir in Karathona gefunden. Wenn wir nicht achtgeben, verpassen wir den Absprung und bleiben das ganze Jahr hier. An diesem Ort haben wir alles, was wir benötigen: Wir bekommen Frischwasser und können unser Klo und unseren Abwassertank leeren. Wir finden Totholz und können abends ein Lagerfeuer machen. In regelmäßigen Abständen von zwei bis drei Tagen tauchen neue Reisende aus England, Frankreich, Deutschland oder Griechenland auf, mit denen wir uns dann anfreunden. Letztens erst schaute eine Gruppe von französischen Backpackern vorbei, die bei null Grad zelteten und sich an unserem Feuer wärmten. Dann haben wir in Fahrradnähe die Stadt Nafplio, in der es ein freies, öffentliches WLAN gibt und in der wir unsere Besorgungen machen können. Ich war sogar dort bereits bei einer Zahnärztin, um eine defekte Plombe reparieren zu lassen. Knapp außerhalb von Nafplio befindet sich eine Autogastankstelle, an der wir mit unserem neuen Adapter unsere Kochgasflaschen füllen lassen können. Zur Krönung gibt es hier in der Bucht auch noch drei Kletterfelsen mit vorbildlich gebohrten Routen. Was will man mehr?

Die Frage ist leicht zu beantworten: ungefähr dreimal so viel Platz mehr im Auto als wir jetzt zur Verfügung haben, einen Ofen, den man mit Holz betreiben kann, und einen Frischwassertank mit mindestens 500 Litern Fassungsvermögen. Eventuell noch einen Fäkalientank statt unseres Chemieklos und Allradantrieb. Die Reihenfolge der Aufzählung steht auch für die Wichtigkeit. Erst wenn man eine Reise unseres Ausmaßes unternimmt, erkennt man, was wirklich in einem Wohnmobil unterwegs notwendig ist und was nicht. Was nützen Heizung, Kochstelle und Warmwasserboiler auf Gasbetrieb, wenn in jedem Land andere Gasflaschen mit anderen Anschlusssystemen verkauft werden? Dass man so etwas zumindest EU-weit noch nicht genormt hat, prangere ich an. Ich sehe uns schon irgendwo im Hochgebirge von Kirgistan im Bus vor Kälte zittern, weil unsere Gasflaschen leer sind, während um uns herum genug Holz liegt, um einen netten kleinen Ofen zu betreiben, auf dem man kochen kann und dessen Abgasrohr auch noch den Warmwasserboiler erhitzt. Wie gerne würde ich einen solchen Ofen nachträglich in unseren Bus einbauen, aber wir haben einfach nirgendwo mehr Platz dafür. Unser Gefährt ist so auskonzipiert wie eine Raumkapsel. Jeglicher erdenklicher Stauraum ist belegt, dabei haben wir nicht zu viel dabei. Bis auf das Sechs-Mann-Zelt und die Vier-Tonnen-Seilwinde haben wir bisher auch alles benötigt und würden auch nicht darauf verzichten wollen.

Wenn wir noch einmal auf eine ähnliche Reise gehen, sieht unser Gefährt ungefähr so aus:

Ein Mercedes-Benz LA 911. Mehr zu dem Fahrzeug hier.

Die Urheberrechte für diese Idee liegen übrigens bei Jörg Hinz, der kurz vor unserer Reise diesen Wagen empfohlen hat.

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Angekommen?

Gestern ist mein Bericht für den Nationalpark Eifel in Druck gegangen. Ich bin zufrieden, darauf habe ich hingearbeitet. Wieder ein Ziel erreicht, einmal mehr angekommen. Das zumindest ist das Gefühl, das sich gerade in mir breit macht. Aber wo genau eigentlich angekommen? Angekommen als Selbständige? Oder vielleicht angekommen in dieser Reise? Wir sind jetzt drei Monate unterwegs und in meiner Wahrnehmung auf die Dinge hat sich einiges verändert, Prozesse wurden angestoßen. Einige Beispiele:

1. Komfort: Der Mensch gewöhnt sich an alles, sagt man. Nun muss ich mit Erstaunen feststellen, dass das sogar auf mich Weichei zutrifft. Dass die Raumtemperatur im Bus morgens nicht wesentlich über fünf Grad Celsius liegt, ertrage ich mittlerweile ohne mit der Wimper zu zucken. Binnen 45 Sekunden habe ich so viele Kleidungsschichten angezogen, dass ich sogar anschließend erst einmal die Bustür zum Lüften öffne. Geduscht wird natürlich nicht jeden Morgen. Ein bis zwei Mal in der Woche ist Waschtag. Dann wird die Dusche leer geräumt und der Wasserboiler angeschmissen. Ich schaffe es mittlerweile mich mit einem gefühlten Wasserverbrauch von 7,5 Litern von Kopf bis Fuß gründlich zu duschen, und verbuche das anschließende Frieren in dem ungeheizten Raum mit Freude als lebensverlängernde Kneipp-Kur.

2. Begegnungen/Austausch: Mich nur über das Wetter oder die nächste Möglichkeit zur Kloentsorgung zu unterhalten, ist mir zu wenig. Nachdem mich das über Wochen frustriert hat, kann ich mittlerweile mit mir wildfremden Menschen innerhalb von Minuten in ein inspirierendes und stimulierendes, tiefes Gespräch fallen. Warum auch Zeit verschwenden, schließlich weiß man ja, dass man sich nach kurzer Zeit wieder trennen wird. Glücklicherweise sind die meisten anderen Reisenden, die wir bislang getroffen haben, genauso kommunikationshungrig wie wir.

3. Gelassenheit: Der Weg ist das Ziel. Es ist wichtiger, sich den Herausforderungen des Weges anzunehmen als ein stupides Touri-Programm abzuhaken. Zunächst einmal ist alles möglich, und jede Abzweigung ist es Wert, geprüft zu werden. Daraus kann sich Wunderbares ergeben. Wie beispielsweise die Adoption eines sonnigen Hundewelpens, das mittlerweile schon ganz gut auf den Namen Loukas hört.

4. Das Gefühl von Sicherheit/Angst in der Fremde: Das passiert nur in meinem Kopf. Neulich erinnerte ich mich wieder an eine Erkenntnis, die ich bereits als Zwölfjährige hatte. Ich lag damals wach in meinem Bett und sollte eigentlich schlafen. Die Straßenlaterne leuchtete in mein Fenster, was die Sternenbilder auf meinem Rollo zum Glänzen brachte. Vielleicht weil ich mich in dem Augenblick so geborgen fühlte, kam mir der Gedanke: Angst gehört zu den Dingen, die uns im Leben am meisten behindert. Heute sehe ich das ein wenig differenzierter und weiß, dass Angst in gewissen Momenten durchaus lebenserhaltend sein kann. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Besonders treffend fand ich die Formulierung einer Radiogeschichte in der WDR5-Kinderserie „Ohrenbär“, die ich mal auf dem Heimweg von der Arbeit gehört habe. Die Geschichte hieß: Wer keine Angst hat, hat mehr Zeit zum Spielen.

5. Den Moment genießen: Alles was wir haben, ist der Moment. Um ihn erleben zu können, müssen wir uns manchmal von verkrusteten Mustern lösen. Ich habe mich neulich an folgendes erinnert: Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren habe ich häufiger mal Freundinnen „abgewimmelt“, die mit mir telefonieren oder spazieren wollten. Ich war so in meinem Stress gefangen, dass ich dachte, ich hätte „wichtigeres“ zu tun: Putzen, Einkaufen, Papiere sortieren, Tatort gucken, Schlafen… Wenn ich heute daran denke, grusele ich mich vor mir selbst. Wie viele wirklich wichtige Momente sind mir dadurch wohl durch die Lappen gegangen? Dies ist nun ein offizieller Aufruf an alle Freundinnen: Sollte ich je wieder so in einem Hamsterrad gefangen sein, habt ihr hiermit die ausdrückliche Erlaubnis, mir eine saftige Ohrfeige zu verpassen.

In den letzten drei Monaten wurden Prozesse in mir angestoßen und meine Wahrnehmung auf einige Dinge hat sich verändert. Ich frage mich, ob das Ziel im Leben weniger das „Ankommen“ an sich ist als vielmehr das „Ganz und gar auf dem Weg sein“. Wir kommen tausend Mal irgendwo an und tausend Mal nehmen wir wieder Abschied. Vielleicht sollte ich beginnen, meine Aufmerksamkeit mehr den Dingen zuzuwenden, die dazwischen liegen.

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Eine typische griechische Stadt auf dem Peleponnes

Nafplio mit seinen knapp 17.000 Einwohnern liegt südlich von Argos in der Bucht zwischen dem dritten und vierten Finger des Peleponnes (von links aus gesehen).

Die Neustadt reiht sich in ihrer Schlichtheit in die Stereotypidität aller griechischen Städte ein. Schachbrettbaumuster mit ewig langen, geraden Straßen.

 

Neben dem Krankenhaus habe ich dieses wunderschöne Sanitätshaus entdeckt, das neben auf den ersten Blick nicht erkennbaren Utensilien auch gebrauchte Gehhilfen und feilbietet:

Geparkt wird übrigens im Greek Style: Warnblinker an und die Karre einfach auf der Straße stehenlassen.

Auffällig sind die Zahlenrätsel in Graffitiform an den Häuserwänden. Folgt man ihnen aufmerksam, gelangt man zum lokalen Fußballstadium.

     

Das Internet löst das Rätsel auf: Die Zahlen stehen für „Gate 7“ bzw. „Gate 13“, die Einlasstore ins Stadium für die Fans der jeweiligen Fußballclubs. Gate 7 ist der Fanclub von Olympiakos Piräus und Gate 13 der von Panathinaikos Athen. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das Ganze jedoch als gewaltbereite Hooligangvereinigung. Siehe hier oder hier.

Der Hafen von Nafplio ist an Ödheit kaum zu überbieten. Immerhin gibt es hier noch öffentliche Toilettenhäuschen.

     

Zumindest offeriert er verschiedene Möglichkeiten des Reisens. Man kann halt so unterwegs sein

, so oder so .

Von gelungener architektonischer Grazilität kann man bei den Bildern nicht sprechen. Zur Verteidigung Nafplios rufe ich daher die Altstadt in den Zeugenstand:

     

Wo werden eigentlich heute die Gebäude errichtet, die man in 500 Jahren bewundern wird?

Übrigens, seit Neuestem immer im Rucksack dabei: der kleine vierbeinige Begleiter, der erst so langsam realisiert, auf welches Abenteuer er sich bei uns eingelassen hat.

 

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Habemus canem

Die Geschichte endete natürlich wie immer am Lagerfeuer. Diesmal mit musikalischer Begleitung von Andreas, einem Profimusiker, der vor zwei Jahren in die Werbebranche gewechselt hat.

Fünf Stunden früher gegen späten Nachmittag feierten wir mit Harris, dem Vorsitzenden der Tierschutzvereinigung von Nafplio, die Adoption von Loukas. Harris, der Mann mit der blauen Jacke auf dem mittleren Foto, und seine blonde Bekannte sind regelrechte Tierschutzaktivisten, die auch schon mal Kettenhunde mitten in der Nacht von ihren Fesseln befreien. Der Grund für unsere kleine Feier zog es unterdessen vor, sich in sein neues Nest zu verkriechen. War wohl doch ein wenig viel Bohei auf einmal für ihn. Nebenbei bemerkt: Man könnte meinen, Reinhold Messner hätte sich seine Frisur bei mir abgekuckt.

   

Wiederum zwei Tage zuvor feierten wir mit den Engländern Abschied, die sich während ihres kurzen Aufenthalts am Karathona Beach um das Welpen gekümmert haben. Da war ich noch der Ansicht, dass kein Tier unser Auto betreten wird. Die Engländer hatten jedoch zwei Wochen zuvor bereits einen Hund adoptiert und wollten nicht noch einen weiteren aufnehmen.

Luke, der Jüngste der Familie hatte sich zuvor ganz rührend um das kleine Wollknäuel gesorgt, das weitere zwei Tage vorher in einer Kiste ganz in der Nähe unseres Standplatzes ausgesetzt wurde.

 

Jetzt haben wir einen Hund. Einen Hund!!! Unser Bus riecht jetzt nach Hund, unsere Klamotten, einfach alles. Wir sehr habe ich mich zuvor kategorisch dagegen gewehrt. Doch gegen den Blick dieses hilflosen Wesens waren Sylvia und ich einfach machtlos.

 

Am Montag bekommt er seine Impfungen, seinen Pass und einen Chip. Die Checkerei an den Grenzen wird durch den neuen Passagier leider etwas aufwendiger (Gesundheitszeugnis nicht älter als 10 Tage). Aber irgendwas ist ja immer.

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Internationales Refugee-Camp für Alltagsflüchtlinge

Wir sind wieder in Karathona bei Nafplion. Dieser Ort hat sich offenbar vorgenommen, besonders großen Einfluss auf meine persönliche Geschichte zu nehmen. Vor 24 Jahren hatte ich hier den größten Hangover meines Lebens. Jetzt erweist er sich als Schmelztiegel für Menschen aus verschiedenen Ländern, die dem Alltag in ihrer Heimat entfliehen wollen.

     

Da sind Johanna und Jürgen, ein Rentnerpärchen aus Hannover, die bereits seit elf Jahren unterwegs sind und regelmäßig die Winter in Griechenland verbringen. Von ihnen haben wir einige wertvolle Tipps erhalten, wie z.B. das Mitführen eines eigenen Adapters, mit dem man die Kochgasflaschen an Autogastankstellen auffüllen kann.

Olivia und Ben mit ihren beiden Söhnen Joseph und Luke sind auf einer ähnlichen Mission wie wir. Sie haben sich ein Jahr freigenommen und sind bereits seit Juli 2011 quer durch Europa unterwegs. Sie haben ihre Kinder von der Schule genommen und erziehen sie selbst, was in England möglich ist. Von Olivia habe ich erfahren, dass die Schulpflicht in Deutschland von Hitler eingeführt wurde, um eine flächendeckende Indoktrination mit der Nazi-Ideologie zu gewährleisten. Ich bin überzeugt, dass sie als Akademiker für ausreichenden inhaltlichen Ersatz für die Schulbildung sorgen können. Da den Kindern jedoch ein offizieller Schulabschluss fehlen wird, werden sie es aus meiner Sicht jedoch schwer haben, Zugang zu höherer Bildung wie z.B. an einer Universität zu finden. Aus meinem persönlichen Lebensweg weiß ich jedoch, dass Abschlüsse nicht alles sind. Auf jeden Fall machen die beiden Jungs einen sehr aufgeweckten, ausgeglichenen und glücklichen Eindruck.

     

Und dann sind da noch Nikolas und Efi aus Korinth mit ihrem Sohn Dimitris, die fast jedes Wochenende mit ihrem Wohnmobil hierher kommen. Ich befürchte, wir haben die beiden ernsthaft mit dem Klettervirus infiziert. Die 1,50 Meter große Efi sieht im Kontrast zu mir so zierlich aus, dass ich neben ihr wirke wie der ehemalige russische Profiboxer Walujew.

     

     

Wir genießen die Gemeinschaft sehr. Da Nikolas und Efi sehr gut Englisch sprechen und die Engländer sowieso, sind sehr tiefgehende Gespräche möglich. Und das Ganze in dieser herrlich entspannenden Atmosphäre. Unschlagbar!

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Erinnerungen an früher

Mülheim ist im Zweiten Weltkrieg durch die Bombenangriffe der Alliierten vollkommen zerstört worden. Selten ist mir das so bewusst geworden, wie in den letzten Tagen. Mein Vater, der 1942 geboren wurde und in Mülheim aufgewachsen ist, hat den Bombenkrieg, die Trümmerjahre und Hungersnöte als Kleinkind erlebt. Der Wiederaufbau wurde zwar in kürzester Zeit bewältigt, doch was da als Ersatz errichtet wurde – vor allen Dingen in der Innenstadt -, würde man bei einem lebenden Organismus als schlecht verheilte Narbe bezeichnen. Die Hochhäuser im Zentrum sind zwar erst in den Siebzigern entstanden, als Bausünde stehen sie jedoch der Nachkriegsära in nichts nach. Die ersten zehn Jahre habe ich direkt in der Innenstadt gelebt und konnte als Kleinkind den Bau der Hochhäuser direkt vis-a-vis mitverfolgen.

In diesem Haus in der zweiten Etage war das, daneben die Hochhäuser:

 

Mein Spielrevier beschränkte sich zunächst auf diesen Hinterhof hinter unserem Haus:

Ursprünglich war der Hof vollkommen asphaltiert, doch zusammen mit einem Nachbarkind haben wir gemeinsam die Oberfläche mit Steinen bearbeitet und ihn kurzerhand in einen Steinspielplatz umfunktioniert. Nach unserem Auszug hat man offensichtlich Gras über die Sache wachsen lassen. Später verließen wir den Hof, um das dahinter liegende Parkdeck zu erkunden:

 

Die Leiter hat mich im Alter von sieben Jahren einen kurzen Aufenthalt im Krankenhaus gekostet. Ich wollte meiner Cousine zeigen, wie toll ich daran hochklettern konnte. Damals war der untere Teil hochgeklappt und als ich mich daran festhielt, klappte das Teil um und schlug mir mit dem Ende auf meinen Hinterkopf. Ich wurde sofort ohnmächtig und brach mir beim Sturz noch ein Ellenbogengelenk an. Die sechs Zentimeter breite Narbe an meinem Hinterkopf kann ich heute noch gut fühlen.

Danach habe ich mein Revier um die zentrale Innenstadt erweitert. Vornehmlich spielten wir in der Fußgängerzone oder in der darunterliegenden Tiefgarage, die übrigens mein Onkel konzipiert und als Bauleiter gebaut hat:

 

Ich entsinne mich, dass meine Cousine und ich einmal von einem Wächter verwarnt worden sind, dass die Tiefgarage kein Spielplatz sei. Daraufhin entgegnete sie ihm voller Selbstbewusstsein, dass wir dort spielen durften, weil ihr Vater die Garage gebaut hätte.

Die Fußgängerzone mit ihren Passagen und künstlerischen Highlights ersetzte die nicht vorhandenen Spielplätze:

   

Die runde Kugel war, aus der heutigen Sicht betrachtet, mein erster Kletterfelsen, den ich free solo bezwungen habe.

Überhaupt haben wir damals eigentlich den Parkour erfunden. An dieser Stelle lag die Schwierigkeit darin, kletternd die Tür zum Parkeck zu überwinden:

Meine institutionelle Laufbahn ist in den drei folgenden Bildern dargestellt (von links nach rechts: Kindergarten, Grundschule, Gymnasium):

   

Das Gymnasium hieß Karl-Ziegler-Schule. Wir nannten es zärtlich „KZ“. Gegenüber dem katholischen Kindergarten befand sich die Gemeindekirche Sankt Mariä Geburt:

Hier residierte ein Pastor, der mir im Alter von 13 Jahren, nachdem ich den ersten Termin zur Firmung nicht wahrgenommen hatte, einen Brief schrieb, in dem er mir vorwarf, dass ich eine große Sünde begehen würde, wenn ich mich nicht firmen ließe. Ich bin das Risiko eingegangen und habe die irdische Vertretung des christlichen Glaubens dann sofort verlassen, sobald ich das erste Mal Kirchensteuer zahlen musste.

Der Kaufhof, der in den Siebzigern das Zentrum der Befriedigung der alltäglichen Nachfrage an Gebrauchsgegenständen darstellte, ist mittlerweile nur noch ein Schatten seiner selbst. Dafür findet man über dem letzten übriggebliebenem Eiscafé in der Fußgängerzone noch eine echte Stilblüte.

 

Die Bilder suggerieren vielleicht, dass Mülheim eine potthässliche Stadt ist. Das stimmt tatsächlich für das Zentrum, in dem ich aufgewachsen bin. Die Altstadt mit ihren drei bis fünf Fachwerkhäusern muss man bewusst suchen, will man sie entdecken.

Der südliche Teil der Stadt kann jedoch mit dem Stadtwald und dem Ruhrtal aufwarten. Dort ist es teilweise wirklich schön.

Mir scheint, dass meine Kindheit mit exakt dem heutigen Tag eine Art Abschluss erfahren hat. Woran ich das merke? Wenn Sylvia und ich von unserer Reise zurückkehren, will ich auf dem Land wohnen. Unsere nächste Wohnung hat einen Garten, eine Garage und eine Feuerstelle. Der Wald ist in zwei Minuten Fußnähe zu erreichen. Nach zwei Monaten Auszeit in der Natur ist mir klar geworden, wie erholsam die Stille ist und dass ich das hektische Stadtleben nicht mehr brauche.

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Deutschland und die Welt

Was ist eigentlich anders in Deutschland? Was macht uns so besonders in der Welt? Wenn man nach längerer Zeit wieder nach Hause kommt, dann fällt erst einmal die Ordnung auf. Bis auf ein paar Hinterhöfe, die man vorzugsweise bei der Einfahrt mit dem Zug in den Hauptbahnhof einer großen Stadt sieht, ist alles auffallend gepflegt, sauber und aufgeräumt. Vieles erscheint sogar neu wie Hausfassaden, Straßen und Autos. Überhaupt ist es eher unwahrscheinlich auf Straßen zu treffen, die Schlaglöcher haben. Man könnte meinen, dass die Deutschen sich an der Oberfläche ihres Straßenbelages messen lassen wollen. Sieht man eine Baustelle, dann sticht die besonders deutliche Kennzeichnung und Absicherung heraus. Arbeitende Menschen und schweres Arbeitsgerät stehen an und in der Baustelle. In Albanien stießen wir ständig auf halbfertige Straßen, die sich offensichtlich gerade in einem Fertigstellungsprozess befanden, doch nirgendwo waren Arbeiter oder Arbeitsgerät zu sehen. Bis auf ein einziges Mal, als wir eine ganze Flotte von LKWs sahen, die offensichtlich für den Straßenbau vorgesehen waren, jedoch nur herumstanden, waren die Baustellen fast immer wie leergefegt.

Die Ordentlichkeit der Deutschen setzt sich fort in ihrer Fahrweise. Wir halten uns vornehmlich an die Straßenverkehrsordnung, die sich in einer deutlichen Präsenz von Schildern und Lichtzeichen manifestiert. Während in Griechenland Vorfahrtstraßen gar nicht gekennzeichnet sind und es für das Achten der Vorfahrt nur das Stopp-Schild gibt, an dem aber niemand stehenbleibt und vor der Weiterfahrt zwei Sekunden im Sinn zählt, haben wir in Deutschland gleich eine ganze Palette an Beschilderungen, welche die unterschiedlichsten Vorfahrtverhältnisse regeln. Man könnte das penetrant nennen, doch unser Verkehr läuft in vielen Fällen trotz seiner Dichte häufig ruhiger und geordneter ab als eine Rush-Hour im 4.000-Seelen-Ort Sparta.

Was uns fehlt, ist eine Gelassenheit, die aus dem Vorhandensein großer Flächen ungenutzter Natur entsteht. Bei uns ist selbst die Nutzung des Waldes bis auf das kleinste Detail geregelt. Wenn man sich in Nordrhein-Westfalen nach einem Kontakt mit den Ordnungshütern sehnt, dann braucht man nur auf einer einsehbaren Freifläche ein Lagerfeuer entzünden und eine halbe Stunde warten. Ich glaube auch kaum, dass es unsere Landbevölkerung in Punkto Gastfreundlichkeit mit der griechischen aufnehmen kann. Stellt man sich bei uns mit dem Wohnmobil auf einen Wanderparkplatz, dann erntet man mitunter schiefe Blicke. In Griechenland wird man spätestens nach drei Tagen mit Apfelsinen oder Olivenöl beschenkt. In Deutschland kommt nach drei Tagen höchstens die Polizei.

Ich glaube, die deutsche Mentalität passt hervorragend zur Produktion von gut verarbeitetem, hochqualitativem und innovativem technischem Gerät. Solange die Nachfrage der Welt nach derartigen Gütern weiterhin hoch bleibt, werden wir unseren Einfluss und Wohlstand sichern können. Würden sich die Länder der Welt in der uneigennützigen Gastfreundlichkeit gegenüber Fremden messen, hätten wir wahrscheinlich im Vergleich zu den Griechen oder den Thailändern den Status eines Entwicklungslandes. Aber wer weiß? Vielleicht haben wir das technische Gerät in 40 Jahren soweit perfektioniert, dass es sich von selber reproduziert und weiterentwickelt. Dann werden die deutschen Tugenden in der Welt weniger wichtig und andere treten in den Vordergrund.

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Allein sein

Donnerstag habe ich Karsten zum Flughafen gebracht. Eine Woche ist er nun zu Hause bei seiner Familie, um sich von Vater und Tante ein letztes Mal zu verabschieden. Ich bleibe indes hier und wache über unsere sieben Sachen.

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, plötzlich ganz allein zu sein. Die letzten zwei Monate gab es praktisch keine Intimsphäre. Ständig, in jedem Moment und überhaupt immer war Karsten an meiner Seite. Jetzt ist es still hier im Bus. Das ist manchmal unheimlich. Insgesamt aber fühle ich mich wohl. Ich kann mich ganz auf mich konzentrieren und auf die letzten Korrekturen meines Berichtes für die Nationalparkverwaltung, der am 16. Januar endlich in Druck geht.

Ich stehe mit dem Bus auf einem AutoCamp, einer Art Wohnmobilhafen, im antiken Korinth. Hier habe ich eine gute Infrastruktur (Strom, Wasser, heiße Dusche, Waschmaschine, Internet im Dorf) und ich fühle mich gut aufgehoben. Der Camping wird von einer Großfamilie betrieben, die auch hier wohnt: Oma, Opa, Mama, Papa drei Kinder zwischen 5 und 14, Tante. Und ein ganz junger Shäferhund, der aber  – wie viele Hunde hier in Griechenland – vor der Tür an der Kette liegt.

Oma und Opa versorgen mich ständig mit Kuchen und Plätzchen und Orangen. Donnerstagabend klopft es um 22 Uhr an mein Fenster. Dort steht „Papa“ mit zwei Anstandskindern. Ich sei doch jetzt allein, und ob ich nicht mit ins Haus kommen wolle, dort hätte ich Gesellschaft. Ich bedanke mich, lehne aber ab. Bin sehr müde und auf dem Weg ins Bett. Außerdem genieße ich gerade die Ruhe. Nachdem ich die Tür wieder schließe frage ich mich, warum die Familie diese Herzlichkeit nicht auch dem einsamen Hund zukommen lassen kann.

Nach einer traumlosen Nacht erwache ich Freitag sehr früh. Es regnet aus Eimern. Normalerweise beginnen unsere Tage mit folgendem Dialog. Ich (im warmen Bett): „Machst du Kaffee?“ Karsten (im gleichen warmen Bett): „Nö, ich will gar keinen Kaffee.“ Ich: „Komm schon, du bist dran.“ Karsten (entschlossen): „Nö.“ Ich (resigniert aufstehend): „Na gut, nützt ja nix.“ Karsten: „Machste mir auch einen?!“ Heute erhebe ich mich wortlos, koche Kaffee nur für mich und schalte die Heizung ein.

Gegen Mittag klopft Oma an mein Fenster. Die Familie lädt mich zum Mittagessen ein. Dummerweise habe ich gerade ein üppiges Mahl verputzt, lehne also dankend ab. Sie lässt aber nicht locker. Wirkt sichtlich beleidigt. Ich versuche zu erklären, dass ich gerade sehr satt bin. Sie stampft entschlossen mit dem Fuß auf den Boden, ruft „Madame!“ und ich weiß, wenn ich jetzt nicht freiwillig mitkomme, wird sie mich gleich eigenhändig an den Ohren an den Mittagstisch ziehen.

Das Haus ist gemütlich und warm, im Kamin brennt ein Feuer. Der Tisch ist reichlich gedeckt. Es gibt Schweinebraten mit Kartoffeln, gebackene Eier, Krautsalat und Schafskäse. Oma und Opa bekreuzigen sich, das Mahl kann beginnen. Kaum ist der erste Bissen im Mund, schrecken Oma und Tante Maria auf, kerzengerade und stocksteif sitzen sie jetzt, zeigen zum Fenster Richtung Garten. Mit aufgerissenen Augen und vollem Mund rufen sie irgendetwas auf Griechisch. Ich sehe nichts, weil ich dummerweise mit dem Rücken zum Fenster sitze. Vermute aber, dass soeben Satan höchstpersönlich erschienen ist, dem Anblick der aufgeregten Frauen nach zu urteilen. Opa zögert nicht, springt auf, eilt ins Nebenzimmer und kommt nach wenigen Sekunden zurück. Mit einem Gewehr in der Hand eilt er am gesegneten Mittagstisch vorbei in den Garten. Ich verschlucke mich fast und glotze ungläubig dem entschlossenen – ich schätze Mittsechziger – hinterher. Später erfahre ich (wir verständigen uns mit Hand und Fuß, Fetzen in Englisch, Französisch und Griechisch), dass nicht Satan sondern ein freilebender Hund am Gartenfenster erschienen ist. Der Hund sei ein Problem für die ganze Nachbarschaft. Er belle, beiße und fresse das Futter der eigenen Hunde. Opa hat ihn übrigens nicht mehr erwischt.

Der Rest des Mittagessens verläuft ohne weitere Zwischenfälle. Anschließend gibt es griechischen Kaffee, noch mehr Kekse und Süßigkeiten und die Familie gesellt sich vor den Fernseher. In den Nachrichten werden die Feierlichkeiten zum heutigen heiligen Tag  der Theofaneia gezeigt. Am 06. Januar feiern die Griechen die Taufe Jesu Christi durch Johannes, eines ihrer wichtigsten kirchlichen Feste und ein mächtiges Spektakel. An diesem Tag verlegen die Gemeindepriester den Gottesdienst ans Wasser (an einen Fluss, See oder ans Meer). Dort wirft der Priester ein gesegnetes Kreuz in die Fluten. Ein bis zwei Dutzend gläubige Männer stehen am Ufer und springen ins kalte Wasser. Sie suchen das Kreuz und kämpfen dann darum. Wer es aus dem Wasser bergen kann gewinnt. Die 14jährige Despina frage ich auf Englisch: „Was gewinnen sie denn?“. Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, findet sie meine Frage ziemlich dämlich. Knapp entegegnet sie: „Nichts!“

Nach dem Kaffee verabschiede ich mich in die Abgeschiedenheit des Busses und verbringe den Rest des Tages arbeitend. Nächste Woche treffe ich mich mit Nikos und Efi in Korinth. Und zwischendurch werde ich mich immer mal zu dem Hund gesellen. Die Woche bis zu Karstens Rückkehr wird sicherlich schnell vergehen. Auch wenn ich allein bin, einsam fühle ich mich im Moment noch nicht.

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Mülheim a.d. Ruhr

Beim Anflug auf den Flughafen Düsseldorf konnte ich durch das Fenster die Mintarder Ruhrtalbrücke sehen. Dort haben wir die zweite Nacht auf unserer Reise verbracht. Wer hätte gedacht, dass ich diesen Ort zwei Monate später aus der Luft wiedersehen würde.

Während des Fluges wurde auf einem Bildschirm immer die aktuelle Position des Flugzeuges auf einer Karte dargestellt. Die Länder, die wir auf unserer bisherigen achtwöchigen Reise passiert haben, rauschten im Abstand von 30 Minuten vorbei.

Mein Onkel holte mich vom Flughafen ab. Er machte einen sehr gefassten Eindruck. Die Trauerfeier – wie soll ich es ausdrücken – war trotz allen Schmerzes sehr schön. Ich bin sehr froh, hier bei meiner Familie zu sein.

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