Angekommen?

Gestern ist mein Bericht für den Nationalpark Eifel in Druck gegangen. Ich bin zufrieden, darauf habe ich hingearbeitet. Wieder ein Ziel erreicht, einmal mehr angekommen. Das zumindest ist das Gefühl, das sich gerade in mir breit macht. Aber wo genau eigentlich angekommen? Angekommen als Selbständige? Oder vielleicht angekommen in dieser Reise? Wir sind jetzt drei Monate unterwegs und in meiner Wahrnehmung auf die Dinge hat sich einiges verändert, Prozesse wurden angestoßen. Einige Beispiele:

1. Komfort: Der Mensch gewöhnt sich an alles, sagt man. Nun muss ich mit Erstaunen feststellen, dass das sogar auf mich Weichei zutrifft. Dass die Raumtemperatur im Bus morgens nicht wesentlich über fünf Grad Celsius liegt, ertrage ich mittlerweile ohne mit der Wimper zu zucken. Binnen 45 Sekunden habe ich so viele Kleidungsschichten angezogen, dass ich sogar anschließend erst einmal die Bustür zum Lüften öffne. Geduscht wird natürlich nicht jeden Morgen. Ein bis zwei Mal in der Woche ist Waschtag. Dann wird die Dusche leer geräumt und der Wasserboiler angeschmissen. Ich schaffe es mittlerweile mich mit einem gefühlten Wasserverbrauch von 7,5 Litern von Kopf bis Fuß gründlich zu duschen, und verbuche das anschließende Frieren in dem ungeheizten Raum mit Freude als lebensverlängernde Kneipp-Kur.

2. Begegnungen/Austausch: Mich nur über das Wetter oder die nächste Möglichkeit zur Kloentsorgung zu unterhalten, ist mir zu wenig. Nachdem mich das über Wochen frustriert hat, kann ich mittlerweile mit mir wildfremden Menschen innerhalb von Minuten in ein inspirierendes und stimulierendes, tiefes Gespräch fallen. Warum auch Zeit verschwenden, schließlich weiß man ja, dass man sich nach kurzer Zeit wieder trennen wird. Glücklicherweise sind die meisten anderen Reisenden, die wir bislang getroffen haben, genauso kommunikationshungrig wie wir.

3. Gelassenheit: Der Weg ist das Ziel. Es ist wichtiger, sich den Herausforderungen des Weges anzunehmen als ein stupides Touri-Programm abzuhaken. Zunächst einmal ist alles möglich, und jede Abzweigung ist es Wert, geprüft zu werden. Daraus kann sich Wunderbares ergeben. Wie beispielsweise die Adoption eines sonnigen Hundewelpens, das mittlerweile schon ganz gut auf den Namen Loukas hört.

4. Das Gefühl von Sicherheit/Angst in der Fremde: Das passiert nur in meinem Kopf. Neulich erinnerte ich mich wieder an eine Erkenntnis, die ich bereits als Zwölfjährige hatte. Ich lag damals wach in meinem Bett und sollte eigentlich schlafen. Die Straßenlaterne leuchtete in mein Fenster, was die Sternenbilder auf meinem Rollo zum Glänzen brachte. Vielleicht weil ich mich in dem Augenblick so geborgen fühlte, kam mir der Gedanke: Angst gehört zu den Dingen, die uns im Leben am meisten behindert. Heute sehe ich das ein wenig differenzierter und weiß, dass Angst in gewissen Momenten durchaus lebenserhaltend sein kann. Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo dazwischen. Besonders treffend fand ich die Formulierung einer Radiogeschichte in der WDR5-Kinderserie „Ohrenbär“, die ich mal auf dem Heimweg von der Arbeit gehört habe. Die Geschichte hieß: Wer keine Angst hat, hat mehr Zeit zum Spielen.

5. Den Moment genießen: Alles was wir haben, ist der Moment. Um ihn erleben zu können, müssen wir uns manchmal von verkrusteten Mustern lösen. Ich habe mich neulich an folgendes erinnert: Insbesondere in den vergangenen zwei Jahren habe ich häufiger mal Freundinnen „abgewimmelt“, die mit mir telefonieren oder spazieren wollten. Ich war so in meinem Stress gefangen, dass ich dachte, ich hätte „wichtigeres“ zu tun: Putzen, Einkaufen, Papiere sortieren, Tatort gucken, Schlafen… Wenn ich heute daran denke, grusele ich mich vor mir selbst. Wie viele wirklich wichtige Momente sind mir dadurch wohl durch die Lappen gegangen? Dies ist nun ein offizieller Aufruf an alle Freundinnen: Sollte ich je wieder so in einem Hamsterrad gefangen sein, habt ihr hiermit die ausdrückliche Erlaubnis, mir eine saftige Ohrfeige zu verpassen.

In den letzten drei Monaten wurden Prozesse in mir angestoßen und meine Wahrnehmung auf einige Dinge hat sich verändert. Ich frage mich, ob das Ziel im Leben weniger das „Ankommen“ an sich ist als vielmehr das „Ganz und gar auf dem Weg sein“. Wir kommen tausend Mal irgendwo an und tausend Mal nehmen wir wieder Abschied. Vielleicht sollte ich beginnen, meine Aufmerksamkeit mehr den Dingen zuzuwenden, die dazwischen liegen.

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