Karathona Beach Blues

Als wir am 27.12. abends am Strand von Karathona südlich von Nafplion ankamen, waren wir nicht die einzigen, die dort übernachten wollten. Direkt an der Zufahrt zu der ausladenden Bucht stand ein Pulk von Wohnmobilisten. Wir kamen sofort ins Gespräch und es stellte sich heraus, dass einige von ihnen des fortgeschrittenen Englisch mächtig waren. Besonders mit Nikolas hatte ich sehr viele Schnittstellen zum Austausch. Zunächst wurden wir in das beheizte Gemeinschaftszelt eingeladen, später dann landeten Sylvia und ich im Wohnmobil von Nikolas und redeten noch bis spät in die Nacht. An den darauf folgenden Tagen stellten wir unsere Autos etwas abseits von der Horde und verbrachten mehrere Abende am Lagerfeuer, zum Schluss zusammen mit Nikolas Frau Efi und seinem Sohn Dimitri, die er noch aus Korinth nachgeholt hatte.

   

Am 31.12. brachen unsere neuen Freunde auf, um Sylvester bei Nikolas Eltern auf der Mani-Halbinsel zu verbringen. Kurz zuvor half mir Nikolas noch, einen Ersatzschlauch für einen gerissenen Kühlwasserschlauch in Nafplion zu besorgen. An unserer Kiste sind noch so viele Überraschungen eingebaut, dass uns auf unserer Reise bestimmt nicht langweilig wird.

Sylvesterabend verbrachten wir alleine am Strand. Wir waren von den vorangegangenen Tagen und dem Felsenklettern, dass an zwei Stellen in der Bucht möglich ist, so müde, dass wir vor Mitternacht eingeschlafen sind.

Jetzt sitzen wir in Korinth und haben bereits einen Wohnmobilhafen aufgesucht, in dem Sylvia die nächste Woche auch alleine stehen kann. Je näher mein Abflug nach Deutschland kommt, desto trübsinniger und angespannter werde ich. Am 05.01. fliege ich von Athen nach Düsseldorf, am 06. ist die Trauerfeier und am 09. die Beerdigung von meinem Vater. Vor einer Woche ist zudem meine Tante an Leberkrebs gestorben. Das war zwar absehbar, und ich habe mich bereits in Deutschland von ihr verabschiedet, doch nun reise ich gleich zu zwei Trauerfeiern. Das macht es nicht einfacher, nach Hause zurückzukehren, selbst wenn es nur für eine Woche ist.

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Am südlichsten Punkt Griechenlands: Das Kap Matapan

Zwei Tage nach der Wintersonnenwende besuchen wir den zweitsüdlichsten Ort des europäischen Festlandes, das Kap Matapan.

Von unserem Standplatz am Strand von Kamares (Artikel Weihnachten) erkunden wir Máni mit dem Motorrad. Enge Serpentinen schlängeln sich über die Halbinsel bis zum südlichsten Punkt Griechenlands. Menschen sehen wir kaum, dafür umso mehr Tiere. Hunde, Kühe, Schafe, Ziegen stehen oder liegen plötzlich mitten auf der Hauptstraße. Bloß nichts verpassen!

Die Landschaft ist atemberaubend und berührt mich. Die raue Küstenlandschaft auf der einen und die schneebedeckte Berglandschaft auf der anderen Seite. Das kraftvolle Wetter unterstreicht die Atmosphäre perfekt. Dazwischen kleine urige Dörfer mit den schon bekannten Spitztürmen wohlhabender Familien (Artikel Auf der Máni, Peleponnes). Nach rund 45 Kilometern erreichen wir das südlichste Dorf des griechischen Festlandes.  Von dort an geht es zu Fuß weiter an das Kap.

       

Auf dem Rückweg zum Motorrad besuchen wir dann noch das örtliche Orakel, das uns jedoch entschieden anschweigt.

 

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Auf der Máni, Peleponnes, Griechenland

Der Peleponnes ist die südlichste Halbinsel Griechenlands. Er ist geformt wie eine Hand mit drei Fingern. Nur ein ganz schmaler Landstreifen bei Korinth verbindet den riesigen Felskollos mit dem Festland. Ein abwechslungsreiches Stück Erde! Hier findet man zahlreiche berühmte Ausgrabungsorte aus der Antike (Olympia, Sparta, Korinth und viele andere – Karsten wird ausführlich und farbenfroh berichten), eine wunderschöne, karge Bergwelt mit Erhebungen von bis zu 2.400 Metern und eine beeindruckende, schroffe und eine wie ich finde teilweise noch ursprüngliche Küstenlandschaft.

Máni ist der geheimnisvolle „Mittelfinger“ des Peleponnes. Ein magischer Ort wie ich finde. Das gewaltige Taýgetos-Massiv trennt die Halbinsel von dem restlichen Peleponnes. Die Halbinsel war daher über Jahrhunderte hinweg schlecht zu erreichen. Nikolas aus Korinth, den wir am Strand von Náfplio kennenlernten und dessen Eltern auf der Máni leben, bestätigte, was mein sonst nicht sehr zu empfehlender Reiseführer auch schon meinte: Die Bewohner Mánis entwickelten durch die Abgeschiedenheit eine eigene kulturelle Identität. Man beschreibt sie als eher verschlossen, selbstbewusst und „grundehrlich“.

Architektonisch fallen einem in Máni die zahlreichen Familienfestungen mit hohen Spitztürmen auf. Weil sie in vergangenen Zeiten kaum Feinde von außerhalb hatten – Máni war im Gegensatz zum Rest von Griechenland nie von den Türken besetzt – bekämpften sich die einflussreichen und wohlhabenden Familien in blutigen Fehden gegenseitig.

Mein Reiseführer ist übrigens das Reisehandbuch Griechenland aus dem Michael Müller Verlag. Normalerweise schätze ich Reiseliteratur aus diesem  Verlag sehr. Selbst im direkten Vergleich mit dem Lonely Planet hat er mich mehrfach überzeugt. Dieser 950 Seiten starke Griechenland-Kompakt-Führer ist allerdings enttäuschend. Oft fehlen Adressen, Anfahrtsbeschreibungen, Öffnungszeiten sind unvollständig oder gelten im Winter nicht. Auch inhaltlich ist er lückenhaft und verwirrend aufgebaut. Aber das nur am Rande.

Weitere Impressionen für euch aus Kardamíli, an der Westküste von Máni.

     

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Anti-Ankack-Regeln

Bisher haben wir ausführlich über unsere Reiseeindrücke berichtet. Manch ein Leser hat dabei das Gefühl bekommen, er säße bei uns im Bus. Weit gefehlt! Eine weitere Person würde diese Nussschale, die bei Permanentregen eher die Klaustrophobie eines U-Bootes vermittelt, gar nicht aushalten. Einige Krisensituationen zwischenmenschlicher Art sind der Enge unseres Habitats geschuldet. Dann kacken wir uns gegenseitig an, bloß weil der andere da ist und man selbst nicht weg kann.

Wir sind durch die Umstände unserer Reise eng an die äußeren Gegebenheiten gebunden. Vieles lässt sich trickreich beheben: Bei Regen basteln wir ein Vordach, unter dem wir draußen sitzen können. Dunkelheit und Kälte lassen sich mit einem Lagerfeuer beliebig zurückdrängen. Kommt dann jedoch noch starker Wind hinzu, hängen wir unweigerlich im Bus. Wenn das über Tage andauert, braucht man dringend Regeln:

1. Es steht immer nur einer im Bus. Der andere sitzt, liegt oder ist draußen.
2. Wenn gekocht wurde, wird danach sofort abgespült. Egal von wem.
3. Alle Dinge haben ihren Platz im Bus. Nach Gebrauch werden sie auch wieder dort verstaut.
4. Jeder hat seine Bank, auf der er für seine Sachen verantwortlich ist.

Gegen widrige äußere Bedingungen haben wir auch Weiterreisen und Besuche von kulturellem Wert ausprobiert. Das hat jedoch neue Probleme mit sich gebracht: Um ein Lagerfeuer zu machen oder ein Vordach aufzubauen, benötigt es einen dementsprechenden Standplatz, an dem man auch Feuerholz findet. Solche Plätze findet man nicht durch Hit and Hope, schon gar nicht im Dunkeln. Abhilfe schafft ausgiebige Recherche im Internet, z.B. in der Stellplatzdatenbank von meinwomo.net und mithilfe von Google Maps. Dann müssen die Erkenntnisse über das Ziel noch irgendwie ins Navi übertragen werden. Standplatzsuche bedeutet also Arbeit und bedarf Internet mit viel Übertragungsvolumen. Aus unseren Erfahrungen haben wir daher noch zwei weitere Regeln aufgestellt:

5. Reiseziele sowie Standplätze werden vor der Reise gemeinsam geplant.
6. Reisen und Standplatz suchen sind ein Tageswerk. Zusätzliche Aktionen müssen mit einem Extra-Tag eingerechnet werden.

Mal sehen, mit welchen und wie vielen Regeln wir zurückkehren. Für die viel umkämpfte Nutzung unsers einzigen Netbooks haben wir bisher übrigens keine Regel gefunden, und wir haben beschlossen, auch nicht weiter danach zu suchen. Gestern haben wir ein zweites Netbook im Internet bestellt.

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Theo schenkt uns frische Fische

Am Weihnachtsfeuer sitzend, erinnern wir uns der gastfreundlichen Menschen am Odysseus Bay in Épirus.

Lukas (Artikel Freunde) haben wir kurz vor unserer Weiterfahrt zum Abschied in seinem Café in Kanallaki besucht. Wir lernten seine Söhne kennen und durften sein Haus besichtigen. Beim Abschied war er zu Tränen gerührt. Das tägliche Schwimmen mit Karsten und Kaffeetrinken zu Dritt war schon Ritual geworden.

An unsere Pflegekatze Kirke erinnert sich Karsten zärtlich und fast täglich. Offensichtlich hat sie ihn verzaubert. Er überlegt nun schon, wie wir Épirus geschickt in unsere Rückreise einbauen können, um Kirke mit nach Hause zu bringen.

Theo hat uns beide beeindruckt. Nach dem wirklich lustigen Abend in Jannis‘ Taverne (Artikel Polí Cýpero und zwei junge Pakistaner in der Patsche) kam er tatsächlich morgens um neun mit einer großen Tüte frisch gefangener Fische. Dass sie noch zappelten, irritierte wohl nur mich. Als ich ihn erschrocken davon in Kenntnis setzte: „Theo, they are still living!“, schaute er mich milde an und klopfte mir auf die Schulter. Den Blick kannte ich schon von Lukas, als ich ihn fragte, ob er denn traurig sei, wenn er eines seiner Lämmer schlachtete.

Theo machte das Feuer an und zeigte mir Großstadtpflanze, wie man einen Fisch ausnimmt. Das fand nicht nur ich hochspannend. Kirke bekam die frischen Innereien.

  

Anschließend wusch Theo den Fisch im Meer aus. Karsten unterstützte, als ob er nie etwas anderes getan hätte.

  

Mit Salz und Zitrone würzte Theo dann den sauberen Fisch. Zitronen hatten wir nach einer Woche Odysseus Bay und unzähligen Gastgeschenken zu Genüge.

Die Glut war mittlerweile heiß genug. Ein Tropfen Olivenöl noch. Und „cegar, cegar..“ (=langsam, langsam..). Dieser Fisch war der mit Abstand beste meines Lebens. Danke, Theo!

  

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Weihnachten

Heute ist Heiligabend. Das sagt zumindest mein Kalender. Wäre alles wie immer, hätte ich schon längst Geschenke gepackt, Kochbücher gewälzt, in überfüllten Supermärkten Schlange gestanden und mit Karsten über Sinn und Unsinn von Weihnachten diskutiert. In diesem Jahr ist alles anders für uns.

Ohnehin ist hier wenig von Weihnachten zu spüren. Die Griechen feiern Ostern viel ausgiebiger, und Geschenke bekommen die Kinder in der Regel erst am 1. Januar. Das ist der Todestag des heiligen Blasius, der im 4. Jahrhundert Bischof war. Er entsagte allen irdischen Gütern und propagierte diese Lebensweise. Nicht verstanden habe ich allerdings, warum die Kinder nun ausgerechnet ihm zu Ehren Geschenke bekommen. Ist das nicht ein Widerspruch in sich?

Karsten und ich gehören beide nicht mehr der Kirche an. Somit ist die Bedeutung des Festes zu Ehren von Christi Geburt für uns in den Hintergrund gerückt. Ich schätze das Fest vielmehr als eine ritualisierte Zusammenkunft mit der Familie und engen Freunden. Für mich bedeutet Weihnachten immer auch „nach Hause kommen“. In diesem Jahr grüße ich dagegen aus der Ferne.

Auch der Tod von Karstens Vater, die Trauer und das „sich neu ordnen“ lässt Weihnachten in diesem Jahr an Bedeutung verlieren. Wenn uns ein nahestehender Mensch verlässt, scheint erst einmal alles Bekannte umgekrempelt, auf den Kopf gestellt. Eingeübte Lebenskonzepte greifen plötzlich nicht mehr, weil da nun jemand fehlt. Mir ging es so, als meine Mutter vor zweieinhalb Jahren starb. Für mich war die intensive Begegnung mit dem Tod aber auch unweigerlich eine Begegnung mit dem Leben. Und ein Aufruf an mich, es in dem mir möglichen Rahmen bewusst zu gestalten und auszukosten. Diese Reise ist daraus geboren.

Wir verbringen den Abend am Strand von Kamares. Das liegt an der Ostküste des mittleren Fingers des griechischen Peleponnes. Wahrscheinlich werden wir ein Lagerfeuer machen und in die Sterne gucken, vielleicht Suwlákia grillen und griechischen Landwein trinken.

Wo immer du gerade bist, was immer für dich Weihnachten bedeutet und ob du die Tage alleine, mit der Familie oder mit Freunden verbringst: Ich wünsche dir eine gute Zeit und einen wertvollen Moment, in dem du innehalten kannst. Einen Moment der ganz dir gehört und der dir Raum lässt, dich an deine Träume zu erinnern. Einen Moment der Begegnung mit dir selbst.

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Ruhe in Frieden, Vatter

Als ich letzte Nacht die Zeilen meines letzten Artikels verfasst habe, ist er verstorben. Wir hatten unsere Streitereien und wir waren selten einer Meinung, doch wir haben immer wieder Wege gefunden, Nähe aufzubauen und wertschätzend miteinander umzugehen. Jetzt bist du weg und meine Trauer ist grenzenlos. Ich werde dich sehr vermissen.

In Liebe

Karsten

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Der dunkelste Tag

Es ist der 21. Dezember, der dunkelste Tag des Jahres, auch in metaphorischer Hinsicht. Seit ungefähr einer Woche regnet und gewittert es von Tag zu Tag mehr und intensiver. Die Temperaturen fallen nachts auf ein paar Grad über Null. Auf den Gipfeln der stets nicht weit entfernten Berge ist dünner Neuschnee zu erkennen, und ich bekomme langsam einen Buskoller. Die Enge unseres Wohnklos und die Unmöglichkeit, sich länger draußen aufzuhalten, machen mich klaustrophobisch. Das Reisen bringt zwar Abwechslung, aber auch erneuten Stress. Es macht einfach keinen Spaß, mit dem Gespann bei strömenden Regen im hektischen Vorweihnachtsverkehr durch enge Gassen zu gurken, um ein antikes römisches Theater zu suchen, an dem man dann doch nicht parken kann. Oder wie ein Trüffelschwein mit Internetrecherchen, Ausfragen von Tankstellenwärtern und Navigationssystem nach einer der drei LPG-Tankstellen auf dem Peleponnes zu fahnden und diese dann doch nicht zu finden. Jetzt fahren wir notgedrungen auf Benzin. Das ist nicht nur doppelt so teuer wie Gas, sondern stinkt auch und lässt den Motor im Standgas ständig ausgehen, weil dieses auf LPG eingestellt ist. Da wir durch die kurzen Tage meistens erst im Dunkeln an unseren Zielorten ankommen, ist die Suche nach geeigneten Standplätzen nicht einfach. Das alles drückt die allgemeine Stimmung auf unserer Mission.

Doch auch im übertragenen Sinne ist der heutige Tag der dunkelste. Die Nachrichten aus der Heimat in den letzten Wochen haben ein immer düsteres Szenario gezeichnet. Vor vier Wochen hatte mein Vater trotz eingebauten Defibrillators einen weiteren Herzstillstand. Die Wiederbelebungsmaßnahmen dauerten 20 Minuten. Vor zwei Wochen wurde deutlich, dass er davon einen Hirnschaden erlitten hat und nach dem erneuten Aufwecken aus dem künstlichen Koma nicht mehr ansprechbar ist. Heute habe ich erfahren, dass er von der Intensivstation im Krankenhaus in Mülheim in ein Pflegeheim nach Essen verlegt wird. Er wird weiterhin künstlich beatmet und zeigt keine bewussten Reaktionen. Da er keine Patientenverfügung abgeschlossen hat, wäre ein Abstellen der lebenserhaltenden Maßnahmen jetzt Sterbehilfe. Dieser Schwebezustand zwischen Leben und Tod macht es schwer, einen Umgang mit der Situation zu finden. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass er noch einmal so etwas wie ein Bewusstsein erlangt. So gesehen war der Augenblick vor sechs Wochen in Mülheim, als ich ihn noch einmal kurz halbwach erleben durfte und seine Hand gedrückt habe, eine Art Abschied. Aber was heißt Abschied, wenn er noch lebt? Es kann noch Jahre dauern, bis er tatsächlich stirbt.

Unbekannt ist mir die Situation nicht, da meine Mutter vor 11 Jahren auf ähnliche Weise aus dem Leben getreten ist. Durch ihre Erkrankung an Multiple Sklerose wurde auch sie zu einem Pflegefall. Im Endstadium war die Krankheit soweit fortgeschritten, dass Hirnschäden eintraten und sie nicht mehr ansprechbar war. Damals wie heute ziehe ich es vor, die Geschehnisse aus der Ferne zu beobachten. Damals wie heute habe ich deswegen ein schlechtes Gewissen. Die räumliche und emotionale Distanz ist jedoch seit meinem Fortgang aus Mülheim im Alter von 21 Jahren, als der Rosenkrieg meiner Eltern bereits zehn Jahre andauerte, bis heute für mich eine wirksame Methode geblieben, mit familiären Ausnahmesituationen umzugehen. Ich hatte immer das starke Gefühl, dass ich die innere Zerrissenheit, die ich seit den traumatischen Erlebnissen durch die Trennung und durch das Verhalten meiner Eltern danach verspürte, nur selber wieder heilen konnte. Die Distanz zu allem, was ich mit diesen Erlebnissen verband – Familie, Heimatstadt, ehemalige Mitschüler etc. –, war dabei ein brauchbares Mittel. Ich weiß nicht genau, warum das so ist. Ich vermute, ich konnte so die Wirkung der Erlebnisse emotional entzerren und gleichzeitig meine Autonomie und Selbstbestimmtheit stärken. Der Nachteil dieser Distanz beim Tod meiner Mutter war, dass echte Trauer bei mir teilweise erst Jahre später eingetreten ist. Ich richte mich darauf ein, dass dies bei meinem Vater ähnlich ablaufen wird.

Werden die Tage nach der Wintersonnenwende nicht wieder länger? Ich hoffe es zumindest.

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Reise-Reflektionen

Wir sind jetzt seit sieben Wochen auf der Straße. Vor einigen Tagen wurde ich von einem Daheimgebliebenen gefragt: „Und, ist es denn so, wie du es dir vorgestellt hast?“ Mich hat die Frage kalt erwischt. Ich hatte mir bis dato noch überhaupt gar keine Gedanken dazu gemacht. Das hole ich jetzt nach:

1. Das Leben auf der Straße ist aufreibender als ich dachte. Am meisten beeindrucken mich die Nächte. Schlafend fühle ich mich in dem Bus oft sehr verletzlich. Zwischen mir und meiner unbekannten Umwelt ist ein Hauch von Metall. Ich höre jede Bewegung, jedes Tier. Das lässt mich – je nachdem wie sicher ich mich fühle – besser oder auch schlechter schlafen.

2. Ich habe definitiv mehr gearbeitet als ich geplant hatte. Steigender Termindruck führte zu steigender Anspannung bei mir, was der steigenden Entspannung bei Karsten diametral entgegenstand. Ich freue mich auf einen freien Kopf!

3. Ich vermisse meine Freundinnen und Freunde und den Austausch mit ihnen: Das spontane Telefonat am Morgen. Der Kaffee am Nachmittag. Das Bier am Abend. Ich vermisse die Vertrautheit.

4. Mir fehlen definitv: meine Dusche, mein Klo und mein Kaffeevollautomat.

5. Der Transit durch Albanien hat mich erschrocken. Ich hätte nicht geglaubt, dass die EU so jäh und gnadenlos endet. Ich war drei Tage lang fassungslos und voller Fragezeichen. Gleichzeitig scheu und etwas ängstlich vor dem Unbekannten, so dass ich mich nur mit großer Überwindung getraut habe, in Kontakt zu treten mit den Menschen. Die Reflektion des Erlebten, bringt mir mindestens vier Erkenntnisse:

  • Armut kannte ich bislang nur aus dem Fernsehen. Ich habe zwar Tourismusmanagement studiert, bin selbst aber abgesehen von Nordamerika noch nie außerhalb der heutigen EU-Grenzen gereist. Ich erinnere mich wieder an Abende mit Freunden, die fassungslos und schockiert von ihrer ersten Indien- oder Afrikareise heimkehrten. Mich hat Albanien aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
  • Wir haben manchmal ziemlich quere Bilder im Kopf, von Dingen, die wir nicht kennen. Um diese Knoten zu lösen, müssen wir uns auch mal unseren Ängsten stellen.
  • Die Kenntnis der Landesprache nimmt Berührungsängste und gibt Sicherheit. Ich habe ein Jahr in Portugal gelebt und spreche die Sprache sehr gut. Dort habe ich mich stets mit einem sehr sicheren Gefühl alleine bewegt, Anhalter mitgenommen, im Auto geschlafen, bin in Bergdörfer gefahren, um mit den Einheimischen zu diskutieren. Als ich in Vlore (Albanien) im Postamt stand, um Briefmarken zu kaufen, und dort mehrere Frauen und Männer auf mich einredeten ohne dass ich sie verstand, fühlte ich mich dagegen nackt und verletzlich.
  • Jedes Lächeln in der Fremde ist ein Geschenk. Und es ist Balsam für die Seele, sich Willkommen zu fühlen.

Wenn alles nach Plan läuft, sind wir noch weitere 45 Wochen unterwegs. Ich bin sehr gespannt, was diese Reise noch so mit mir machen wird. Auf jeden Fall habe ich noch einige Lektionen zu lernen. Würde mich heute wieder jemand fragen, ob ich mir das so vorgestellt habe, würde ich zusammenfassend antworten: „Ich hätte nicht gedacht, dass Reisen so anstrengend sein kann.“

 

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Heimweh

Jetzt ist es soweit: Nach sieben Wochen habe ich zum ersten Mal Heimweh. Mir fehlen meine Freunde, Ausgehen im Dumont oder Domkeller, Unterhaltungen mit anderen Gleichgesinnten außer Sylvia, der Schwimmverein, Badminton, die Couch in unserem Wohnzimmer, überhaupt ein Wohnzimmer, ein richtiges Badezimmer – ja, sogar hin und wieder ein strukturierter Tagesablauf, und dazu gehört dann auch die Arbeit.

Was mir erstaunlicherweise nicht fehlt, sind Fernsehen, permanentes Internet und Videospiele. Ich hätte niemals gedacht, dass ein Ensemble aus Meerblick, Lagerfeuer und Büchern für einen mehr als ausreichenden Ersatz sorgen kann. Als Nebeneffekt bekommt man dann auch noch die Entspannung mitgeliefert.

Ich denke, gegen den Blues hilft nur Reisen. Nach fast zwei Wochen am selben Ort wird es auch wieder Zeit. Mittlerweile kennen wir gefühlt das halbe Dorf. Zumindest kennt das halbe Dorf uns: die beiden bekloppten deutschen Touristen, die im Winter bei 15 Grad und Regen in Griechenland Urlaub machen. Täglich schauen drei bis vier Leute bei uns vorbei und schenken oder verkaufen uns Schnaps, Olivenöl, Brot, Apfelsinen, Zitronen, Äpfel, Salat, Tomaten, Käse, Kräuter und frisch gefangene Fische. Wir wissen gar nicht, wohin mit dem ganzen Essen, das übrigens ausgezeichnet ist. Ich mache seit fünf Wochen Diät, um wieder ein anständiges Klettergewicht zu bekommen. Unsere Pflegekatze hat hingegen mittlerweile, optisch betrachtet, ihr Gewicht verdoppelt. Jetzt sollte sie halbwegs die Zeit bis zur Ankunft der regulären Touristen im Frühjahr überstehen. Ich habe mich so sehr an dieses dankbare kleine Wesen gewöhnt, dass ich jetzt schon merke, wie ich es vermissen werde.

Nun denn, es ist schade um den Ort, der bisher der schönste, friedlichste und freundlichste Standplatz von allen bisherigen war. Zudem hatten wir hier eine komplette Infrastruktur inklusive Waschmaschine auf einem geöffneten Campingplatz in 15 km und einer LPG-Tankstelle, bei der wir unsere Kochgasflaschen auffüllen konnten, in 25 km Entfernung.

Auf Wiedersehen, Loukas, Kirke, Anastasious, Theo und all die anderen, deren Namen ich nicht kenne oder nicht behalten konnte.

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