Wir sind jetzt seit sieben Wochen auf der Straße. Vor einigen Tagen wurde ich von einem Daheimgebliebenen gefragt: „Und, ist es denn so, wie du es dir vorgestellt hast?“ Mich hat die Frage kalt erwischt. Ich hatte mir bis dato noch überhaupt gar keine Gedanken dazu gemacht. Das hole ich jetzt nach:
1. Das Leben auf der Straße ist aufreibender als ich dachte. Am meisten beeindrucken mich die Nächte. Schlafend fühle ich mich in dem Bus oft sehr verletzlich. Zwischen mir und meiner unbekannten Umwelt ist ein Hauch von Metall. Ich höre jede Bewegung, jedes Tier. Das lässt mich – je nachdem wie sicher ich mich fühle – besser oder auch schlechter schlafen.
2. Ich habe definitiv mehr gearbeitet als ich geplant hatte. Steigender Termindruck führte zu steigender Anspannung bei mir, was der steigenden Entspannung bei Karsten diametral entgegenstand. Ich freue mich auf einen freien Kopf!
3. Ich vermisse meine Freundinnen und Freunde und den Austausch mit ihnen: Das spontane Telefonat am Morgen. Der Kaffee am Nachmittag. Das Bier am Abend. Ich vermisse die Vertrautheit.
4. Mir fehlen definitv: meine Dusche, mein Klo und mein Kaffeevollautomat.
5. Der Transit durch Albanien hat mich erschrocken. Ich hätte nicht geglaubt, dass die EU so jäh und gnadenlos endet. Ich war drei Tage lang fassungslos und voller Fragezeichen. Gleichzeitig scheu und etwas ängstlich vor dem Unbekannten, so dass ich mich nur mit großer Überwindung getraut habe, in Kontakt zu treten mit den Menschen. Die Reflektion des Erlebten, bringt mir mindestens vier Erkenntnisse:
- Armut kannte ich bislang nur aus dem Fernsehen. Ich habe zwar Tourismusmanagement studiert, bin selbst aber abgesehen von Nordamerika noch nie außerhalb der heutigen EU-Grenzen gereist. Ich erinnere mich wieder an Abende mit Freunden, die fassungslos und schockiert von ihrer ersten Indien- oder Afrikareise heimkehrten. Mich hat Albanien aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
- Wir haben manchmal ziemlich quere Bilder im Kopf, von Dingen, die wir nicht kennen. Um diese Knoten zu lösen, müssen wir uns auch mal unseren Ängsten stellen.
- Die Kenntnis der Landesprache nimmt Berührungsängste und gibt Sicherheit. Ich habe ein Jahr in Portugal gelebt und spreche die Sprache sehr gut. Dort habe ich mich stets mit einem sehr sicheren Gefühl alleine bewegt, Anhalter mitgenommen, im Auto geschlafen, bin in Bergdörfer gefahren, um mit den Einheimischen zu diskutieren. Als ich in Vlore (Albanien) im Postamt stand, um Briefmarken zu kaufen, und dort mehrere Frauen und Männer auf mich einredeten ohne dass ich sie verstand, fühlte ich mich dagegen nackt und verletzlich.
- Jedes Lächeln in der Fremde ist ein Geschenk. Und es ist Balsam für die Seele, sich Willkommen zu fühlen.
Wenn alles nach Plan läuft, sind wir noch weitere 45 Wochen unterwegs. Ich bin sehr gespannt, was diese Reise noch so mit mir machen wird. Auf jeden Fall habe ich noch einige Lektionen zu lernen. Würde mich heute wieder jemand fragen, ob ich mir das so vorgestellt habe, würde ich zusammenfassend antworten: „Ich hätte nicht gedacht, dass Reisen so anstrengend sein kann.“
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