Polí Cýpero und zwei junge Pakistaner in der Patsche

„Polí Cýpero, polí Cýpero“, wiederholt Theo und meint: “Leute, bin ich betrunken.“  Ouzo trinkt man hier offenbar schon lang nicht mehr. „Zuviel Chemie“, urteilt Theo, der schon vor 20 Jahren von dem milchigen Fusel abgelassen hat. Mir wird flau im Magen weil ich an das ein oder andere Glas Ouzo denken muss, dass ich als brave Touristin in den vergangenen zehn Tagen „genossen“ habe. Stattdessen trinkt Theo Cýpero. Keine Ahnung ob man das so schreibt. Ist aber auch egal, schließlich zählt der Inhalt. Er wird aus Trauben gewonnen, ist wunderbar mild und fruchtig, gleichzeitig hochprozentig. Wir würden Grappa dazu sagen. Ach so, und polí heißt übrigens „viel“.

Eigentlich waren wir gar nicht mit Theo sondern mit Anastasius verabredet. Anastasius lebt in der Nähe es Strandes, der seit nunmehr zehn Tagen unsere Wahlheimat ist. Er ist Fischer und Jäger und hatte uns am Nachmittag bestes selbstgepresstes Olivenöl und fünf Fische verkauft. Wir luden ihn zum Kaffee ein, zeigten uns gegenseitig Fotos und plauderten ein wenig – wenn man das „plaudern“ nennen kann. Mit Hand und Fuß eben. Er: „Ihr verheiratet?“. Wir „Óchi“ (=nein). Er: „Nächstes Jahr ihr kommen, verheiratet. Danach Jahr ihr kommen, Baby“. Wir bedankten uns artig für das Orakel und nahmen seinen Vorschlag an, uns abends um sieben in Jannis‘ Taverne – „sehr gut Essen“ – wieder zu sehen.

Karsten und ich haben dann irgendwie die Zeit verloren und trudelten erst um viertel vor Acht dort ein. Aufmerksam wurden wir von den rund 20 Männern im Lokal beobachtet, als wir eintraten und uns einen freien Tisch suchten. Das Lokalderby Athen – Tripolis im Fernsehen war für einen Moment uninteressant geworden, die Erscheinung aus Deutschland dafür umso interessanter. Anastasius war unter dem Publikum nicht auszumachen. Also bestellten wir erst einmal bei Jannis, dem Wirt. „Mia bíra, éna kókkino krassí ke neró“, (= ein Bier, ein Rotwein und Wasser) gab sich Karsten alle Mühe, das gerade erlernte Griechisch anzuwenden. Dass uns der Wirt verstand, merkten wir an seiner Antwort: „Mit Sprudel oder ohne?“. Damit rechnete ich nun überhaupt nicht und konterte mit einem eloquenten: „Häh!?“ Jannis wiederholte geduldig: „Mit Sprudel oder ohne?“ Nur seine leicht zuckenden Mundwinkel verrieten, dass meine ohnehin schon peinliche Entgegnung offensichtlich von einem noch dämlicheren Gesichtsausdruck begleitet worden war.

Wir aßen Suwlákia und Salat und hatten überhaupt nichts dagegen, dass sich die Aufmerksamkeit der Herren wieder von uns ab- und dem Fußballspiel zuwendete. Anastasius jedoch kam nicht. Nachdem wir aufgegessen hatten, sprach uns Theo vom Nebentisch an: „Anastasius went home. Sleeping. I am his brother.“ Der interessante Mann mit dem spitzbübischen Bart setzte sich zu uns, und im Handumdrehen war das Eis gebrochen. Er gab uns einen Ouzo und Rotwein aus. Wir ihm Cýpero. Und so weiter… Cýpero, Wein, Bier. Nur dann doch kein Ouzo mehr.

Theo ist Mathematiklehrer an der Schule in Kanallaki. Er hat sechs Brüder und zwei Schwestern, zwei sehr hübsche erwachsene Töchter und ein Haus in Valandoriachi. Er fischt und jagt. Und kommt uns im November 2012 in Aachen besuchen. Dann nämlich ist er pensioniert und will seinen Bruder in Hannover, seinen Neffen in Düsseldorf und seinen Freund in Paris besuchen. Karsten und ich fanden, dass Aachen hervorragend auf seine Reiseroute passen würde und luden ihn kurzerhand in unser noch nicht vorhandenes Zuhause ein. Das führte dann zu großer Freude bei allen Beteiligten, noch mehr Bier, Wein und Cýpero. Wir scherzten, lachten und klopften uns gegenseitig auf die Schulter. Was für eine nette Begegnung!

„Polí Cýpero, polí Cýpero“, wiederholt Theo. Wir sind die letzten Gäste im Lokal. Die Unterhaltung wird zunehmend schwierig aber nicht weniger lustig. Ich zücke unser OhneWörterbuch und wir beginnen die Bilder von Schafen, Schweinen, Kiwis und Bananen in Worte zu fassen. Jeder in seiner Sprache. Karsten und ich lachen über den Klang der griechischen Begriffe und versuchen sie auszusprechen. Theo lacht über die deutschen Wörter und gibt sich alle Mühe, sie zu sagen. Und Jannis, der Wirt, lacht über uns.

Die Szenerie unterbricht jäh, als sich die Tür öffnet. Zwei junge Männer – ich schätze sie auf Mitte zwanzig – betreten den Raum. Sichtlich erschöpft. Ich bin zwar schon sehr betrunken, befinde die Beiden aber trotzdem als für Griechen bemerkenswert dunkelhäutig, mit etwas zu markanten Gesichtszügen. Kein Wunder, sie sind nämlich gar keine Griechen. Die beiden kommen eigentlich aus Islamabad, Pakistan. Und stecken offensichtlich gerade ziemlich in der Patsche. Sie müssen noch 50 Kilometer bis Preveza fahren, ihr Benzin reicht nur nicht mehr für die Strecke. Jannis und Theo rufen kurzerhand den lokalen Tankwart an. Der vermeintliche Retter geht aber nicht ans Telefon. Das war´s dann wohl. Kein Kraftstoff vor morgen früh.

Karsten lehnt sich zu mir rüber: „Ich sehe doppelt“. Ich entgegne: „Nein, das sind wirklich Zwei.“ Diese Bestätigung scheint Karsten glauben zu lassen, er sei doch nüchterner als er eigentlich dachte. Er beschließt einzuschreiten und bietet den beiden wirklich zerknirscht dreinblickenden Jungs an, zehn Liter von unserem Bus abzuzapfen. Er gestikuliert dabei auf beeindruckende Weise, dass das Benzin aus unserem Tank mit dem Schlauch angesaugt werden müsse.

Die Jungs lassen sich auf die beiden betrunkenen „Turistas“ ein. Wir verabschieden uns herzlich von Jannis und Theo und schwingen uns auf unsere Fahrräder. Die beiden Pakistaner in ihrem Auto hinter uns her. Bis zum Strand sind es etwa drei Kilometer, auf Feldwegen. Aber nach schon 150 Metern folgt ein unfreiwilliger Zwischenstopp: Ich verschalte mich, was meine Gangschaltung das Zeitliche segnen lässt. Die Räder blockieren, an Weiterfahrt ist nicht zu denken. Das Auto hält und die beiden Kollegen denken pragmatisch – nur keine Zeit verlieren. Sie packen das Fahrrad in den Kofferraum und bieten mir Platz auf dem Beifahrersitz an.

Am Bus angekommen geht dann alles ganz schnell. Karsten holt Kanister und Schlauch. Und ich bin in Gedanken bereits beim bevorstehenden Ansaugprozess. Als ich mich entschließe, Karsten in den nächsten fünf bis sieben Tagen dann eben nicht zu küssen, macht einer der beiden Jungs kurzen Prozess: Ein Schlauchende kommt in den Tank, das andere in seinen Mund. Und jetzt saugen. Das Benzin läuft vorbildlich erst in seinen Mund, dann in den Kanister hinein. Obwohl ich nicht vorhabe den Pakistaner zu küssen, reiche ich ihm schnell ein Glas Wasser zum Spülen. Aus reiner Nettigkeit. Zehn Minuten später sehen wir in zwei wirklich dankbare und erleichterte Gesichter. Wir lehnen Geld ab und verabschieden uns.

Gemeinsam mit unserer adoptierten Kirke und einer guten Hand voll Brekkis lassen wir den geselligen Abend im Strandstuhl noch einmal Revue passieren. Wir freuen uns wirklich sehr über die herzliche Offenheit und Gastfreundschaft der Menschen, die uns hier begegnen. Und wir freuen uns auch, dass wir den beiden jungen Pakistanern ein bisschen davon zurückgeben konnten. Nur mit dem Cýpero sollten wir in Zukunft vielleicht doch ein wenig zurückhaltender sein.

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Freunde

     

Als wir das erste Mal in die Odysseus-Bucht fuhren, waren wir noch beim Auskundschaften und suchten zunächst einen Campingplatz, wo wir unsere Wäsche waschen konnten. Daher verließen wir die Bucht erst einmal wieder. Dabei kam uns ein älterer Mann mit freiem Oberkörper in einem blauen VW Golf Pickup entgegen, blieb stehen, kurbelte sein Fenster herunter und fragte uns: „Warum wegfahren?“ Ich vermutete zunächst, dass es sich um den Besitzer des lokalen Strandcafés handelte und antwortete beschwichtigend: „Wir suchen einen Campingplatz, kommen aber vielleicht wieder.“

Am selben Abend kehrten wir tatsächlich zurück. Gegen Mittag des nächsten Tages kam der Mann wieder und wir stellten uns vor. Er heißt Loukas und kommt fast jeden Tag aus der naheliegenden Stadt Kanallaki hierher, um im Meer zu schwimmen. Er spricht gebrochen Deutsch, weil er wie viele ältere Männer hier aus der Gegend in den sechziger und siebziger Jahren in Deutschland gearbeitet hat. Als ich ihm am Strand stehend das erste Mal richtig in die Augen blickte, musste ich an das Lied „Road Trippin‘“ von den Read Hot Chili Peppers denken. Darin kommt folgende Textzeile vor: „These Smiling eyes are just a mirror for the sun“. Mir wurde klar, dass seine Freundlichkeit vollkommen ohne Hintergedanken war. Er kündigte an, uns beim nächsten Mal Schnaps mitzubringen. Zwei Tage später, als wir von einem Ausflug mit dem Motorrad wiederkamen, hing eine Tüte mit einer Plastikflasche mit selbstgemachtem Grappa, Zitronen und Apfelsinen an unserem Bus. Am darauffolgenden Tag waren wir da, als er gegen Mittag auftauchte. Ich ging mit ihm zusammen im Meer schwimmen und wir tranken anschließend zu dritt Kaffee. Diese Prozedur wiederholt sich nun jeden Tag. Heute hat er uns selbstgemachtes Olivenöl und Tomaten mitgebracht. Wir reden über Familie, Reisen und lernen dabei ein wenig Griechisch. Loukas hat ein kleines Café in Kanallaki, das mittlerweile von einem seiner beiden Söhne betrieben wird. Außerdem hat er etwas Land, 30 Schafe, und er baut selber Tomaten, Trauben, Oliven und Zitrusfrüchte an. Als er uns berichtete, dass seine Frau vor zehn Jahren gestorben sei, kamen ihm die Tränen in die Augen. Er sagte, wenn er nicht täglich schwimmen würde, dann läge er den ganzen Tag im Bett. Außerdem würde regelmäßiges Schwimmen im Meer das Leben um zehn Jahre verlängern.

Auch die ausgewilderten Tiere statten uns regelmäßig Besuche ab, obwohl ihr Interesse eher in unserem Essen liegt. Wir haben beschlossen, eine halb verhungerte junge Katze, die uns mit ihrem herzzerreißenden Miauen angebettelt hat, mit Katzen-Hartz-IV aufzupeppeln. Kirke wird nun jeden Tag von uns zweimal mit Katzenfutter verköstigt. Irgendwie hat sich das jedoch über den Strandfunk wie ein Lauffeuer verbreitet, so dass mittlerweile bis zu fünf ausgewilderte Hunde uns belagern. Teilweise werden sie mit ein bisschen Brot davon abgehalten, auf das Katzenfutter loszugehen, teilweise muss ich sie mit wilden Gesten und einem Stock in der Hand verscheuchen.

Wir bleiben noch ein paar Tage in der Odysseus-Bucht. Das Wetter ist zwar unbeständig, doch weiter südlich ist es auch nicht besser und höchstens zwei Grad wärmer. Außerdem tragen wir hier Verantwortung.

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Montenegro und Albanien Teil II

… Ich nehme seine Einladung an und überhole den LKW. „So so.“, tuscheln wir. „Dies ist also die Straße, welche die EU mit Albanien verbindet. In Deutschland wäre das eine bessere Hofeinfahrt.“ Dass die Straße auf dieser Seite der Grenze im Vergleich zu der auf der anderen einem Luxus-Highway gleicht, kann zu diesem Zeitpunkt wirklich keiner ahnen. Unsere Straßenkarte sagt übrigens, dass dies nur eine von drei offiziellen Grenzen nach Albanien ist.

Rechts von uns begleitet uns noch ein Ausläufer des Skardarsko-Sees. Von der Karte weiß ich, dass genau an dessen spitz zulaufendem Ende die Grenze sein muss. Plötzlich tut sich vor uns eine Baustelle auf. Aha – deshalb das Schild. Die Straße wird erneuert! Na, das ist ja mal ein Schritt auf den Nachbarn zu. Für uns heißt das in dem Moment: Jetzt wird es holprig. Der Rest der Strecke bis zur Grenze ist Schotterpiste. Ich überlasse Karsten das Steuer, denn ich traue unserem Bus unter solchen Bedingungen maximal Schneckentempo zu. Und das macht Karsten ungeduldig. Der LKW folgt uns übrigens brav. Er vertraut dem deutschen Navi.

Und endlich. Vor uns sehen wir die Grenze. Rechts stehen rund zwei Dutzend LKW, die auf die Durchreise warten. Links warten drei PKW auf die Weiterfahrt. In Gedanken sage ich unserem LKW schon einmal Tschüs – den Rest des Weges muss er jetzt wohl ohne uns schaffen. Der Grenzer blättert gelangweilt durch unsere Reisepässe. Fordert Karsten dann auf, die Fahrzeugpapiere seinem Kollegen im Büro vorzulegen. Alles easy. Wir können fahren. Uns so schnell wie wir aus Montenegro raus dürfen, kommen wir auch in Albanien rein.

Erst denken wir, die Baustelle ginge hier weiter. Dann kapieren wir: Das ist keine Baustelle. Das meinen die Ernst. Links und rechts und geradeaus. Matschpisten soweit das Auge reicht. Schlaglöcher. Pfützen. Schneller als 20 km/h geht es hier nimmer. Und Karsten, der die letzten 24 Stunden über seine Straßenerlebnisse 1994 in Rumänien erzählte, raunt nur: „Das ist schlimmer als Rumänien 1994.“ Das riesengroße rote Vodafon-Werbeplakat wirkt in dieser Endzeit-Kulisse auf uns wie blanker Hohn.

  

Wir passieren die ersten Dörfer und instinktiv drücke ich das Türknöpfchen runter. Es könnte ja jemand die Tür aufreißen, uns rauszerren und den LT klauen. Dann stünden wir da. One year off – ha, ha. Und vertrauensfördernd ist auch nicht gerade folgender VW-LT mit deutschem Kennzeichen, der wie eine Trophäe am Straßenrand posiert. Kannte zufällig jemand seinen Besitzer?

Mit einem dicken Knubbel in der Magengrube erreichen wir das erste größere Dorf. Will heißen: Hier gibt es einige Läden, besser gesagt Garagen die Obst, Gemüse, Schrott, Fahrradreifen, Schuhe, undefinierbares Plastikgedöns und eine Schweinehälfte feilbieten.

  

Und unglaublich viele Menschen sind da. Die queren die Straße, stehen am Straßenrand, allein, zu zweit, in Gruppen. 80 Prozent Männer. Ok, sagen wir 85 Prozent. Und alle schauen sie auf und uns hinterher. Mit großen Augen. Und ich denke: Gleich ist es soweit. Wir werden überfallen. Und dann passiert das Unglaubliche. Ein etwa 18jähriger junger Mann hebt die Hand… und winkt uns zu! Ja, er winkt und lächelt sogar dabei. Ich bin ratlos. Und erleichtert.

Auf den nächsten 30 holprigen Kilometern begegnen uns Hühner am Straßenrand, eine dicke Sau rennt uns beinahe vor die Karre und flüchtet panisch im Zickzack vor uns her, eine Frau sitzt am Straßenrand und bietet gelangweilt tote Hühner feil, fünf Pferde stehen am Straßenrand und grasen in einem riesen Müllberg, drei Kilometer später zwei Kühe im gleichen Müllszenario. All das passiert zu plötzlich, um noch rechtzeitig die gut versteckte Kamera zu zücken. Und aussteigen wollen wir beide noch nicht so richtig. Winken hin oder her.

Kühe, die nicht gerade im Müll grasen, werden in Albanien übrigens angeleint.

Müll ist ein riesiges Problem in Albanien. Zumindest wir definieren es als Problem. Die Albaner sehen es offensichtlich anders, sonst würden sie zumindest ansatzweise etwas dagegen tun. Ich habe im Leben nicht daran geglaubt, dass Menschen sich und ihre Umwelt so zumüllen könnten Es gibt keinen Landstrich ohne Müllberge, keine Straßenecke ohne Müll. Es ist wirklich unglaublich vermüllt.

 

Ansonsten fallen uns die durchgehend improvisierten und schlechten Straßen und Brücken auf. Mit einer solchen Infrastruktur kann das Land sich wirtschaftlich kaum entwickeln. Später lesen wir, dass bis zum Ende des sowjetischen Einflusses Anfang der 90er Privatleute keine Kraftfahrzeuge besitzen durften. Somit gab es auch gar keinen Bedarf, Infrastruktur zu entwickeln.

        

20 Jahre später ist der PKW offensichtlich noch Luxusgut und Statussymbol. Oft sieht man ausrangierte Mercedesse aus Deutschland, nicht selten noch mit dem Deutschland-D darauf. Die, die noch kein Auto haben, fahren mit dem Pferdekarren, dem Moped oder mit dem Taxibus. Dafür stelle man sich einfach an den Straßenrand. Ich kenne ein ähnliches System aus der Türkei.

        

Bei der Bahn gibt es massive Investitionsstaus. Ganze vier Bahnlinien auf einer Gesamtlänge von rund 400 Kilometern werden derzeit für Personenverkehr betrieben. Und es gibt eine Linie für Güterverkehr nach Montenegro. Laut Wikipedia wurden Vorhaben zur Verbesserung der Infrastruktur und der Sicherheit an Bahnübergängen auf Eis gelegt. Die Finanzierung war nicht gesichert.

  

Nach guten 40 Kilometern erreichen wir die erste Stadt. Und dort sehen wir auch den ersten Wegweiser. „Tirana“ steht darauf. Sehr gut, genau dahin wollen wir. Das scheint auch ein älterer Herr an der nächsten Straßenecke zu ahnen. Der winkt uns freudig zu und wedelt dann in die Richtung, in die wir abbiegen sollen. Männer stehen übriges in Albanien überall an den Straßen. Und das jederzeit, offensichtlich den ganzen Tag lang. Sie treffen sich, erzählen sich was. Manche spielen. Oder sie machen Geschäfte, wer weiß das schon.

         

Wir fahren weiter über Landstraßen, die peu à peu besser werden. Die Orte scheinen reicher, je näher wir der Hauptstadt kommen. Straßenhändler verkaufen mittlerweile auch lebende Tiere.

  

Jetzt fallen mir andere Dinge auf: Es gibt zahllose Bauruinen an den Straßenrändern. Privathäuser, deren Grundsteine gelegt und Treppenhäuser gebaut sind. Plötzlich hörten die Besitzer auf. Aus welchem Grund? Grob überschlagen schätze ich, auf drei fertige Häuser kommt eine Bauruine. Dazu kommen die vielen Häuser, in denen das Geld zumindest für das Erdgeschoss reichte.

  

Und wieder passiert etwas überraschendes. Wir sind plötzlich auf einer Autobahn. Eine richtige Autobahn. Aber irgendwas ist anders… vielleicht die vielen Menschen auf dem Standstreifen… die da laufen, uns mit dem Moped oder Fahrrad entgegenkommen. So richtig vertraut scheint den Albanern das Prinzip noch nicht zu sein. Und wir witzeln, dass in Deutschland schon längst eine Radiodurchsage gekommen wäre: „Achtung, auf der A 40 zwischen Moers Ost und Kreuz Moers befinden sich Personen auf der Fahrbahn!“.

     

Tirana erreichen wir kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Viele Menschen, viele Autos auf den Straßen. Aber irgendetwas ist anders… was nur? Ich grübele und dann fällt es mir auf: Es gibt keine Straßenbeleuchtung! Wir fahren durch improvisierte Stadtviertel mit zahlreichen Bauruinen. Tirana zählt heute rund 645.000 offizielle Einwohner. Etwa so viele hat Bremen inklusive Bremerhaven. Vor zehn Jahren lebten nur halb so viele Menschen in der Hauptstadt. Vor 20 Jahren nur etwa 240.000 Frauen und Männer. Mit dem Ende der Sowjetunion begann eine große Landflucht in Albanien. Die Vorortorte Tiranas entwickelten sich schneller, als Infrastrukturprogramme nachbessern konnten. Es wird vermutet, dass weit mehr Menschen hier leben, als offiziell bekannt ist.

Im Zentrum gibt es dann doch Laternen. Und ein atemberaubendes Verkehrschaos. Es gilt das Recht des Stärkeren. Verkehrszeichen sind grundsätzlich nur Angebote.

Es gibt übrigens keine Supermärkte in Albanien. Zwei Conads haben wir entdeckt – die kenn ich aus Südtirol. Ansonsten nix – kein Carrefour, Lidl, Megamarché. Zu unserer Überraschung entdecken wir dann einen Praktiker-Baumarkt. Der ist sogar gut besucht – das zeigt uns der Parkplatz. Ich frage mich nur, was die Leute kaufen, wenn die Regale leer sind…

Wir erreichen das Zentrum Tiranas und parken für die Nacht an dem einzigen Ort Albaniens, den wir für 100%ig sicher erachten: Direkt vor dem Parlament im Regierungsviertel. Wir beginnen einen Streifzug durch die Gemeinde, entdecken nostalgische Sowjet-Architektur, einen MCDonald´s-Imitat und kommen ins Gespräch mit wirklich freundlichen Menschen. Wir können es nicht fassen, dass die Leute hier tatsächlich noch etwas zum Lachen haben und freuen uns über die Freundlichkeit.

     

Die Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle. Wir wurden nicht ausgeraubt. Nicht bedroht. Nicht ermordet. Voller Euophorie entscheiden wir uns für eine weitere Nacht in diesem fremden Land und legen einen Zwischenstop in Vlore am Meer ein. Auch hier parken wir an einem der belebtesten Orte der Stadt, mitten in der Ausgehmeile.

Karsten braucht nach rund 150 Albanien-Kilometern erstmal einen Mittagsschlaf. Und ich traue mich, einmal die Einkaufsstraße rauf und wieder runter zu laufen. Was mich an diesem Land am meisten irritiert, sind die fehlenden Frauen. Auf etwa 10 Männer auf der Sraße kommen 1-2 Frauen. Die sind in der Regel blutjung und gestylt. Entspannt und unaufgeregt stolzieren sie durch den Müll und durch die Männertrauben. Diese Entspanntheit in dem Blick dieser hübschen albanischen Frauen passt für mich einfach nicht zu dem Rest des Szenarios. Alle anderen Frauen sind weit über 50. Wo sind die Frauen in meinem Alter? Ich sehe keine. Ich fühle mich wie eine Außerirdische und so werde ich auch angeschaut. Mit meinen Turnschuhen, den hellen Haaren und als fast Mittdreißigerin passe ich so gut in diese Straßenmeile wie ein Vegetarier in den oben erwähnten MCDonald’s-Verschnitt. Als angenehmes Refugium empfinde ich das einzige Straßencafé, in dem auch Frauen sind. Und zwar nur Frauen. Der albanische Kaffee ist übrigens ausgezeichnet.

Abends machen Karsten und ich noch einen Strandspaziergang. Ich frage mich, was hier so stinkt, und merke, es ist das Meer.

Am nächsten Tag beschließen wir, dass wir einfach nicht zu diesem Land passen. Wir wollen nach Griechenland. Schnellstmöglich. Selbst wenn wir ab sofort von unserer Leserschaft als Weichspültouristen abgestempelt werden.

Für die nächsten 150 Kilometer bis zur Grenze brauchen wir geschlagene fünf Stunden. Je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, umso schlechter werden die Straßen wieder. Wir fragen uns, was eigentlich all die Männer so machen, tagein tagaus. Da, wo vermeintlich eine Straße gebaut wird, stehen die Maschinen still, und kein Mensch ist zu sehen. Morgens, halb zehn in Albanien:

Die letzten 50 Kilometer schnüren uns dann noch einmal so richtig die Kehle zu. Wir fahren durch ein Gebiet mit Erdöl- und Gasvorkommen. Wir haben schon vorher gelesen, dass die Gewinnung dieser Rohstoffe kaum erschlossen ist. Aber so haben wir uns das nun doch nicht vorgestellt. Die Luft stinkt nach Rohöl. Die Pumpen sind verdreckt, das Öl fließt in die Landschaft, die Raffinerien sind verrostet und die Seen und Flüsse schimmern farbig ob ihres Ölschleiers. Und als es plötzlich nach Gas riecht, wir nervös stehen bleiben und sämtliche Gasquellen im Bus auf Defekte untersuchen, merken wir, dass nicht wir das sind. Die ganze Landschaft stinkt nach Gas.

        

Die Ausreise klappt problemlos. Mit jedem Meter fällt die Last der Eindrücke von uns ab. Die Passkontrolle winkt uns schnell durch. Und dann erlöst uns der griechische Zollbeamte mit sympathischem  Dialekt, als er ruft: „Hallo mein Freund, wo willst du hin?! Du machst Urlaub? Es ist Winter!“ Und zum ersten Mal seit drei Tagen lachen wir wieder von Herzen.

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Montenegro und Albanien, Teil I

Grenzübergang Kroatien – Montenegro: Der streng dreinblickende Grenzbeamte findet uns mit unserem Gefährt wohl ziemlich… ungewöhnlich. Und das zeigt er uns auch. Mit einem süffisanten Lächeln scherzt er auf unsere Kosten: „Where do you want to go? Iran? Afghanistan?“ Seine kleine Show gilt eigentlich nicht uns, sondern den drei aufgetakelten Damen. Sie stehen neben dem Herrn in Uniform und grinsen. Ich finde das hingegen nicht ganz so lustig. Mich machen Grenzbeamte nervös. Und zynische Grenzbeamte erst recht. Mit einem arroganten Augenzwinkern gibt er mir die Pässe zurück. Eine der Frauen weist er an, uns zehn Euro für eine Vignette abzuknöpfen.

Montenegro selbst beeindruckt uns dann landschaftlich sehr. Wir nehmen einen Umweg von rund 30 Kilometern in Kauf, um die ganze Bucht von Kotor zu sehen.

Das Land scheint sich touristisch rasant zu entwickeln. Ich erinnere mich an imposante Auftritte von Montenegro auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB). Und hier im Land selbst schießen an allen Ecken Hotelburgen in die Höhe. Eine Reihe königsblauer Schilder mit weißem Sternenkranz zeigen, dass die EU hier in Infrastrukturmaßnahmen investiert. Und so wird auch die Küste von Montenegro mit jedem Jahr den großen Vorbildern in Italien und Spanien immer ähnlicher werden…

 

Trotz der traumhaften Ausblicke fühle ich die steigende Anspannung in der Fahrerkabine. Albanien kommt näher. Wir wollen die Grenze unbedingt bei Tageslicht passieren. Karsten sorgt sich um den Zustand der Straßen. Ich sorge mich um uns.

Es ist merkwürdig, welche Bilder wir in unseren Köpfen mit uns herum tragen von den Dingen, die wir nicht kennen. Ich verstehe mittlerweile die Amis, wenn sie glauben, alle Deutschen kleideten sich in Lederhosen und Dirndl und ernährten sich ausschließlich von Weißbier und Sauerkraut. Schließlich glaube ich ja auch, dass alle Albaner in der Mafia sind und jeden aus dem Westen per se erst einmal ordentlich ausrauben – aus Prinzip sozusagen.

50 Kilometer vor der Grenze zeichnet sich der nahende Sonnenuntergang ab. Die Nacht würden wir also besser in Montenegro verbringen. Wir finden einen ehemaligen Campingplatz direkt am Meer. Karsten hat mittlerweile eine Meisterspürnase für idyllische WoMo-Standplätze.

Der nächste Tag begrüßt uns mit stürmischem Regenwetter. Also legen wir keinen Strandtag ein, sondern fahren weiter. Wir passieren den Skadarsko-See, der in den späten Achtzigern als Nationalpark ausgewiesen wurde. Die Vielzahl der Angler zeigt, dass man es hier mit dem Prozessschutz nicht ganz so eng nimmt. Ich hätte mich gern mit einem Mitarbeiter des Nationalparks unterhalten. Wie kann man in einem so armen Land überhaupt einen Nationalpark erfolgreich managen? Mit der Ausweisung eines Schutzgebietes gehen schließlich immer auch wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeiten für die Bevölkerung verloren. Und Montenegro ist – EU hin oder her – nach wie vor ein armes Land. Aber gut, das ist ein anderes Thema und verdient eine eigene Geschichte.

   

Je mehr wir uns Albanien nähern, desto schlechter werden die Straßen, desto ärmlicher die Häuser, desto wirrer der Verkehr. Unser Navi soll uns nach Tirana, die Hauptstadt Albaniens, führen. Rund 15 Kilometer vor der Grenze zeigt es allerdings nur noch durchschnittlich eine von drei real existierenden Straßen an. Wegweiser gibt es natürlich keine. Noch steuere ich den Bus. Fast wäre ich falsch abgebogen als Karsten ruft: „Du musst links fahren zur Grenze! Ist doch klar: Immer dem LKW hinterher!“ Ok, dachte ich. Dem LKW hinterher. Ist doch klar.

Jetzt wird es richtig arm. Rechter Hand passieren wir ein Grundstück mit Bergen voll Müll. Mittendrin lodert ein stinkendes Feuer. Drumherum spielen die Kinder. Mir schnürt es die Kehle zu.

Nach rund zwei Kilometern ist die Straße einspurig und uns begrüßt ein Schild „Durchfahrt verboten“ wegen Bauarbeiten. Das verunsichert offensichtlich sogar den Fahrer des LKWs. Er hält an und versperrt uns den Weg. Der geschätzt 50-jährige Beifahrer steigt aus und kommt langsam, mit seinem schönsten zahnlosen Lächeln auf uns zu. Er wirft ein Blick auf unser Nummernschild. „Guten Tag. Tirana?“ Er deutet in Fahrtrichtung. Wir deuten auf unser Navi, zucken mit den Schultern und nicken. „Ja, vermutlich schon“, sagen wir und meinen: „Ja, hoffentlich“. Er zuckt mit den Schultern und lächelt wieder. „Nix verstehen“, sagt er und meint: „Die haben ein Navi, hervorragend“. Der Mann klettert zurück in den LKW. Der fährt an den Straßenrand, so dass wir passieren können. Ab sofort sollten wohl besser wir vorfahren…

[To be continued…]

 

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Dubrovnik

Ich muss acht oder neun gewesen sein, als ich zum ersten Mal im Restaurant Dubrovnik aß, in Moers am Neumarkt. Alles, was ich seither mit dieser Stadt in Dalmatien verband, war Cevapcici mit Duvecreis. Somit war ich zugeben überrascht von diesem charmanten Ort, der weitaus mehr zu bieten hat.

     

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Stille Tage in Martinska

Habe ich eigentlich schon darüber berichtet, wie schön das hier ist? Tagsüber haben wir fast durchgehend blauen Himmel und ca. 18 Grad im Schatten. Bewegt man sich ein wenig in der Sonne, wird es so warm, dass es sogar oben ohne geht. Der einzige Wermutstropfen: Geht die Sonne unter – und das ist pünktlich um 16.30 Uhr –, dann wird es auch sofort kühl. Wohl dem, der genügend Feuerholz gesammelt hat.

Ansonsten ist die Auszeit für mich genauso, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich stehe morgens auf und mache mir noch im Bett liegend Gedanken über die Welt. Dabei löse ich so gut wie alle Probleme der Menschheitsgeschichte. Leider vergesse ich die Lösungen sofort wieder, weil ich nichts zum Schreiben bei der Hand habe. Dann stehe ich auf und schaue erst einmal Sylvia dabei zu, wie sie ihren Bericht für das Forstamt schreibt. Wie ging diese Spüli-Werbung noch? Während die Leute in Villa Bajo noch spülen, können die Leute in Villa Riba schon wieder feiern… Oder so ähnlich. So fühle ich mich dann. Ich mache Urlaub, und direkt neben mir arbeitet Sylvia.

Damit ich mir im Verhältnis zu ihr nicht ganz so nutzlos vorkomme, nehme ich Optimierungen am Bus vor. So habe ich eine kleinere Starterbatterie besorgt und die ursprünglich dafür vorgesehene 90Ah-Batterie nach hinten zu der bereits vorhandenen 95Ah-Batterie gepackt. Jetzt haben wir im Stand doppelt so viel Strom wie vorher. Oder ich wechsele die Bremsen am Motorrad, was ich vor der Abreise nicht mehr geschafft habe. Dann gehe ich spazieren oder mache mit dem Motorrad Besorgungen in Sibenik. Bei letzterem genieße ich die von der Nacht teilweise noch leicht feuchten Schotterstraßen und übe mich in kleineren Drifts mit dem Hinterrad.

Ich bin teilweise so entspannt, dass ich Dinge, die ich besorgen wollte, einfach vergesse. Und das ist gar nicht schlimm. Dann fahre ich eben noch einmal los, oder ich verschiebe es auf den nachfolgenden Tag.

Sobald die Sonne untergegangen ist, fahren Sylvia und ich mit dem Motorrad nach Sibenik und suchen uns ein Internetcafé, oder wir fahren mit dem Bus hinunter an ein Dock gegenüber von der Stadt, wo man noch so gerade einen freien Wi-Fi-Spot empfangen kann, und surfen dort, schreiben E-Mails oder Blog-Beiträge.

Zurück an unserem Stellplatz zünden wir dann ein Feuer an und machen eine Flasche Wein auf.

 

Dann ist es auch schon 23.00 Uhr und ich frage mich, wo die ganze Zeit geblieben ist. Ich spüre so etwas wie Ausgeglichenheit in mir – ein Zustand, den ich Jahre nicht mehr so bewusst erlebt habe. Ich könnte locker noch Wochen hier verbringen, wenn das Wetter so bleibt wie jetzt. Doch Sylvia treibt es weiter. Sie will bis Mittwoch, 30.11. ihren Bericht fertiggestellt haben und dann weg von diesem Ort, den sie fast ausschließlich arbeitend wahrgenommen hat.

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Schönster Arbeitsplatz in Kroatien

Heute wollten wir eigentlich nach Albanien weiterfahren. Mit dem  Kaffee zwischen Bett und Aussicht haben wir jedoch entschieden, noch einen weiteren Tag zu bleiben. Sylvia will in Kürze ihren Bericht fertig abliefern. Deshalb packte uns die galoppierende Entspannung und Aufräumwut. Der Karsten hat Tetris mit unserem ausladenden Hab und Gut gespielt. Er ist erfolgreich in allem, was es so zu tun gibt. Sylvia auch. Sie richtete ein großartiges und einzigartiges Tageswerk mit ihrem Netbook aus. Dies ist wirklich überragend.

Die obigen Sätze wurden abwechselnd Wort für Wort von Sylvia und mir geschrieben.

Dank für die tolle Stellplatzempfehlung,  Stefan Hack!

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Nomadenleben

Um es vorweg zu nehmen: Wir haben unseren Bus wieder und sind unterwegs.

Am Mittwoch, 23.11. bekamen wir die Nachricht, dass wir den Wagen in Ljubljana abholen konnten. Die Fahrt mit dem Motorrad war ein absolutes Wechselbad der Gefühle. Sprichwörtlich hautnah konnten wir zwei Jahreszeiten an einem Tag erleben. Als wir in Koper am Meer auf die Autobahn fuhren, hatten wir Sonnenschein und 15 Grad (im Schatten). Die erste halbe Stunde mussten wir uns bergauf durch uns entgegenkommende kalte Fallwinde kämpfen. Mehrfach wurden wir meterweise aus der Spur geweht. Dann kam der Nebel und von jetzt auf gleich fiel die Temperatur auf unter null Grad. Um uns herum war plötzlich Winter. Die Bäume hatten einen weißen Raureifüberzug, und die Leute in den Autos schüttelten die Köpfe ob unseres Anblicks. Nach weiteren 30 Minuten erreichten wir mit abgefrorenen Fingern Ljubljana, das tatsächlich nur 100 km von Koper entfernt ist. Da die Stadt in einem großen Becken liegt, umgeben von den Alpen und Mittelgebirgen, hält sich der Nebel dort besonders hartnäckig. Gepaart mit hektischem Berufsverkehr lädt die Szenerie zum sofortigen Verlassen ein.

Nachdem wir unser fahrendes Zuhause für 380 Steine Arbeitskosten ausgelöst hatten, machten wir uns dann auch sofort auf den schnellsten Weg Richtung Zadar in Kroatien. Warum gerade Zadar? Weil dieselben Skeptiker, die uns prophezeit haben, dass unser Bus nur bis Kroatien hält, gesagt haben, dass, wenn wir es bis Zadar schaffen, wir auch den Rest der Reise bewältigen werden. Wir wählten den kürzesten Weg über Landstraße durch Slowenien und fuhren nicht die 70 km weitere Strecke über die Autobahn und über Zagreb. Dieser Entschluss brachte uns dann auch den ersten Vorgeschmack auf die Straßen in Albanien und den anderen Ländern, in denen das Geld in die Autos und nicht in die Infrastruktur fließt. Auf der Hälfte der Strecke hörte die kurvige, aber gut ausgebaute Landstraße auf und verwandelte sich in eine brettharte Schotterpiste mit Bodenwellen und Schlaglöchern. Insgesamt 20 km zuckelten wir mit 30 km/h durch einen vollkommen menschenleeren Wald, bis wir wieder anständigen Belag unter den Rädern hatten.

Auf der Autobahn in Kroatien, die auf ca. 600 Metern Höhe durch das Hinterland führt, empfing uns dann wieder der Winter: Schneeregen bei -3 Grad und vereiste Fahrbahnen. Bei einem Zwischenstopp an einer Tankstelle stellten wir fest, dass unser Wagen komplett mit einer feinen Eisschicht überzogen war. Gruselig, und hier wollen wir überwintern?

Vor Zadar führt die Autobahn wieder zum Meer. Auf dem Weg nach unten empfingen uns die bekannten Fallwinde und dann – als wenn nix gewesen wäre – +10 Grad mitten in der Nacht. Ich kann jetzt gut nachvollziehen, warum sich die Griechen, Punier und Römer in der Antike entlang der Küsten des Mittelmeeres ausgebreitet haben. In Ljubljana kann es in strengen Wintern bis zu -40 Grad kalt werden, während 100 km weiter an der Küste das Thermometer selten unter null Grad fällt.

Wir übernachteten kurz hinter Zadar auf einer wilden Wiese in einer Nebenstraße. Am nächsten Morgen fuhr ein Mann in einem alten Golf ohne Nummernschilder vor und wollte von uns 10 Euro haben, weil wir auf seinem Grundstück übernachtet hätten. Wir gaben ihm das Geld und ich überlegte kurz, ob wir dafür unser überquellendes Chemieklo auf seinem Grund und Boden entleeren sollten – als angemessenen Gegenwert für unser Entgelt. Ich musste an Mario aus dem Bergdorf in Istrien und seine geringe Meinung über die Menschen in dieser Gegend denken. Die Ehre der lokalen Bevölkerung rettete jedoch dann ein Mitarbeiter eines Campingplatzes, der auf unsere Nachfrage in einem Touristenbüro extra seinen Platz öffnete, damit wir dort Wasser tanken und unser Klo entleeren konnten – für umsonst.

Wir beschlossen, uns erst einmal einen guten Stellplatz für die nächste Nacht zu suchen und fuhren weiter nach Sibenik. Hier sollte nach unseren Recherchen im Internet ein ehemaliger Campingplatz sein, auf dem man mehrere Tage ungestört stehen können sollte. Wir haben ihn auch auf Anhieb gefunden. Die verlassenen Campingplatzeinrichtungen sehen zwar eher nach Punkgraffiti hinterm Bahnhof aus, aber der Platz selber liegt wunderschön und ist, im Gegensatz zu den meisten Landstraßen und verlassenen Gebäuden, Plätzen und Einrichtungen in Kroatien, kaum vermüllt. Zur einen Seite sieht man die Skyline von Sibenik, zur anderen einen natürlichen Kanal zwischen dem Festland und einer vorgelagerten Insel (siehe Bilder). Ende des klassischen Reiseberichts mit stellenweisen Auflockerungen.

     

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Motorradeldorado und öde Orte

Ich wollte schon immer einmal einen typischen Motorradzeitschriftenartikel schreiben. Also, hier ist er:
Es ist 08.00 Uhr morgens. Der Frühnebel hängt noch in den Tälern des verschlafenen Hinterlandes der istrischen Halbinsel. Zwei Hühner am Straßenrand picken monoton im löchrigen Asphalt nach Nahrung. Nur das Brabbeln des bajuwarischen Einzylinders entzweit die friedliche Stille. Die Straßen wirken wie leergefegt, doch in den schattigen Kehren muss der aufmerksame Biker mit rutschiger Unterlage rechnen…
Und so weiter und so fort. Ist doch nicht mein Genre.

Auf unserer vermeintlich letzten Tour in Istrien haben wir wunderschöne Postkartenmotive entdeckt.

Dass das Bild tatsächlich aussieht wie eine vergilbte Postkarte aus den Siebzigern, liegt daran, dass Sylvia mit dem Weißabgleich experimentiert hat. Ich finde es jedoch besonders schön so, da diese Dörfer (in diesem Fall Oprtalj) ihre besten Zeiten hinter sich haben. Geht man nämlich hinein, findet man die Hälfte der Gebäude halb verfallen vor.

   

Die Küste Istriens und Teile des Hinterlandes waren in der Antike römisches Siedlungsgebiet und in der Folge haben hier Italiener bis zum Ende des 2. Weltkriegs gewohnt. Die Beschilderung ist in Istrien zwar größtenteils zweisprachig auf Kroatisch und Italienisch, aber Italiener treiben sich hier kaum noch herum. Vor dem 1. Weltkrieg stellten sie noch 38 % der Bevölkerung.

Auf unserem weiteren Weg wählten wir einen Schotterweg am Fuße von Oprtalj (im unteren, linken Teil des folgenden Bildes), den ich zuvor auf Google Earth entdeckt hatte.

Es stellte sich heraus, dass es sich um eine ehemalige Bahnlinie handelte – mit allem Pipapo wie Tunnel und Viadukten.

 

Erst später sind uns dann die Schilder aufgefallen, die den Weg als Fahrrad- und Wanderweg auswiesen. Es war aber wirklich keine Seele unterwegs, die wir hätten stören können.

Über diesen Weg entdeckten wir einen besonders öden Ort namens Zavrsje. Wir stiegen ab und folgten dem Weg zur Kirche.

   

Wir wollten schon wieder umkehren, als ein Hund um die Ecke bog, gefolgt von einem älteren Mann in einem blauen Kittel. „Dober dan, do you speak english“, fragten wir ihn. Er sagte: „Yes.“ Dies stellte sich jedoch als optimistische Übertreibung heraus. Er forderte uns auf, einen Blick in den Kirchturm voller Taubenmist zu werfen, den er gerade im Auftrag des Priesters von Oprtalj restaurierte.

 

Wir erfuhren noch, dass er als Schiffsmechaniker bereits zweimal um die Welt gereist war, aber nirgendwo die Leute so link und unfreundlich seien wie hier, obwohl er selbst aus der Gegend kam. Weiterhin erzählte er uns, dass er geschieden sei und es jetzt viel besser sei ohne Frau und sein Vater Partisan unter Tito war. Die ehemalige Bahnlinie, die wir entdeckt hatten, führte übrigens ursprünglich von Triest nach Porec und sei im Krieg von Mussolini abgebaut worden, weil die Gleise in Afrika benötigt wurden. Dann wollte er uns noch sein Grundstück andrehen, weil er hier weg müsse. In dem Ort lebten nur noch acht Menschen und am Meer könnte er als Bootsmechaniker viel mehr Geld verdienen als hier. Das war, nachdem wir uns bereits dreimal verabschiedet hatten. Dann nannte er uns noch den Preis für das Grundstück. Da waren wir aber in unserem freundlichen Rückzugsbestreben bereits schon so weit entfernt, dass wir ihm noch ein „Farewell“ hinterherriefen und den Weg zum Motorrad antraten. Das war unser Tag.

So sieht das übrigens aus, wenn man nach einer Woche Warten erfährt, dass die Ersatzteile für den kaputten Wagen endlich geliefert wurden und man in spätestens zwei Tagen weiterkommt, weg von diesem schönen aber hoffnungslosen Flecken Erde:

 

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Koper, Slowenien

Gestern haben wir in Koper Zündkerzenstecker für unser Moped gekauft. Nebenbei gab es Gelegenheit zum Sightseeing. Impressionen aus Koper:

  • Im internationalen Seehafen von Slowenien wird gerade ein Containerschiff beladen.
  • Ein rauchender Elektriker installiert in der Fußgängerzone die Weihnachtsbeleuchtung.
  • Der Stadtturm war einmal ein Wehrturm und gehörte zur Festung der Stadt. Im 15. Jahrhundert wurde ihm eine Glocke verpasst. Seitdem hat er lediglich noch die Funktion eines Kirchturms.

      

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