Motorradeldorado und öde Orte

Ich wollte schon immer einmal einen typischen Motorradzeitschriftenartikel schreiben. Also, hier ist er:
Es ist 08.00 Uhr morgens. Der Frühnebel hängt noch in den Tälern des verschlafenen Hinterlandes der istrischen Halbinsel. Zwei Hühner am Straßenrand picken monoton im löchrigen Asphalt nach Nahrung. Nur das Brabbeln des bajuwarischen Einzylinders entzweit die friedliche Stille. Die Straßen wirken wie leergefegt, doch in den schattigen Kehren muss der aufmerksame Biker mit rutschiger Unterlage rechnen…
Und so weiter und so fort. Ist doch nicht mein Genre.

Auf unserer vermeintlich letzten Tour in Istrien haben wir wunderschöne Postkartenmotive entdeckt.

Dass das Bild tatsächlich aussieht wie eine vergilbte Postkarte aus den Siebzigern, liegt daran, dass Sylvia mit dem Weißabgleich experimentiert hat. Ich finde es jedoch besonders schön so, da diese Dörfer (in diesem Fall Oprtalj) ihre besten Zeiten hinter sich haben. Geht man nämlich hinein, findet man die Hälfte der Gebäude halb verfallen vor.

   

Die Küste Istriens und Teile des Hinterlandes waren in der Antike römisches Siedlungsgebiet und in der Folge haben hier Italiener bis zum Ende des 2. Weltkriegs gewohnt. Die Beschilderung ist in Istrien zwar größtenteils zweisprachig auf Kroatisch und Italienisch, aber Italiener treiben sich hier kaum noch herum. Vor dem 1. Weltkrieg stellten sie noch 38 % der Bevölkerung.

Auf unserem weiteren Weg wählten wir einen Schotterweg am Fuße von Oprtalj (im unteren, linken Teil des folgenden Bildes), den ich zuvor auf Google Earth entdeckt hatte.

Es stellte sich heraus, dass es sich um eine ehemalige Bahnlinie handelte – mit allem Pipapo wie Tunnel und Viadukten.

 

Erst später sind uns dann die Schilder aufgefallen, die den Weg als Fahrrad- und Wanderweg auswiesen. Es war aber wirklich keine Seele unterwegs, die wir hätten stören können.

Über diesen Weg entdeckten wir einen besonders öden Ort namens Zavrsje. Wir stiegen ab und folgten dem Weg zur Kirche.

   

Wir wollten schon wieder umkehren, als ein Hund um die Ecke bog, gefolgt von einem älteren Mann in einem blauen Kittel. „Dober dan, do you speak english“, fragten wir ihn. Er sagte: „Yes.“ Dies stellte sich jedoch als optimistische Übertreibung heraus. Er forderte uns auf, einen Blick in den Kirchturm voller Taubenmist zu werfen, den er gerade im Auftrag des Priesters von Oprtalj restaurierte.

 

Wir erfuhren noch, dass er als Schiffsmechaniker bereits zweimal um die Welt gereist war, aber nirgendwo die Leute so link und unfreundlich seien wie hier, obwohl er selbst aus der Gegend kam. Weiterhin erzählte er uns, dass er geschieden sei und es jetzt viel besser sei ohne Frau und sein Vater Partisan unter Tito war. Die ehemalige Bahnlinie, die wir entdeckt hatten, führte übrigens ursprünglich von Triest nach Porec und sei im Krieg von Mussolini abgebaut worden, weil die Gleise in Afrika benötigt wurden. Dann wollte er uns noch sein Grundstück andrehen, weil er hier weg müsse. In dem Ort lebten nur noch acht Menschen und am Meer könnte er als Bootsmechaniker viel mehr Geld verdienen als hier. Das war, nachdem wir uns bereits dreimal verabschiedet hatten. Dann nannte er uns noch den Preis für das Grundstück. Da waren wir aber in unserem freundlichen Rückzugsbestreben bereits schon so weit entfernt, dass wir ihm noch ein „Farewell“ hinterherriefen und den Weg zum Motorrad antraten. Das war unser Tag.

So sieht das übrigens aus, wenn man nach einer Woche Warten erfährt, dass die Ersatzteile für den kaputten Wagen endlich geliefert wurden und man in spätestens zwei Tagen weiterkommt, weg von diesem schönen aber hoffnungslosen Flecken Erde:

 

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