Montenegro und Albanien Teil II

… Ich nehme seine Einladung an und überhole den LKW. „So so.“, tuscheln wir. „Dies ist also die Straße, welche die EU mit Albanien verbindet. In Deutschland wäre das eine bessere Hofeinfahrt.“ Dass die Straße auf dieser Seite der Grenze im Vergleich zu der auf der anderen einem Luxus-Highway gleicht, kann zu diesem Zeitpunkt wirklich keiner ahnen. Unsere Straßenkarte sagt übrigens, dass dies nur eine von drei offiziellen Grenzen nach Albanien ist.

Rechts von uns begleitet uns noch ein Ausläufer des Skardarsko-Sees. Von der Karte weiß ich, dass genau an dessen spitz zulaufendem Ende die Grenze sein muss. Plötzlich tut sich vor uns eine Baustelle auf. Aha – deshalb das Schild. Die Straße wird erneuert! Na, das ist ja mal ein Schritt auf den Nachbarn zu. Für uns heißt das in dem Moment: Jetzt wird es holprig. Der Rest der Strecke bis zur Grenze ist Schotterpiste. Ich überlasse Karsten das Steuer, denn ich traue unserem Bus unter solchen Bedingungen maximal Schneckentempo zu. Und das macht Karsten ungeduldig. Der LKW folgt uns übrigens brav. Er vertraut dem deutschen Navi.

Und endlich. Vor uns sehen wir die Grenze. Rechts stehen rund zwei Dutzend LKW, die auf die Durchreise warten. Links warten drei PKW auf die Weiterfahrt. In Gedanken sage ich unserem LKW schon einmal Tschüs – den Rest des Weges muss er jetzt wohl ohne uns schaffen. Der Grenzer blättert gelangweilt durch unsere Reisepässe. Fordert Karsten dann auf, die Fahrzeugpapiere seinem Kollegen im Büro vorzulegen. Alles easy. Wir können fahren. Uns so schnell wie wir aus Montenegro raus dürfen, kommen wir auch in Albanien rein.

Erst denken wir, die Baustelle ginge hier weiter. Dann kapieren wir: Das ist keine Baustelle. Das meinen die Ernst. Links und rechts und geradeaus. Matschpisten soweit das Auge reicht. Schlaglöcher. Pfützen. Schneller als 20 km/h geht es hier nimmer. Und Karsten, der die letzten 24 Stunden über seine Straßenerlebnisse 1994 in Rumänien erzählte, raunt nur: „Das ist schlimmer als Rumänien 1994.“ Das riesengroße rote Vodafon-Werbeplakat wirkt in dieser Endzeit-Kulisse auf uns wie blanker Hohn.

  

Wir passieren die ersten Dörfer und instinktiv drücke ich das Türknöpfchen runter. Es könnte ja jemand die Tür aufreißen, uns rauszerren und den LT klauen. Dann stünden wir da. One year off – ha, ha. Und vertrauensfördernd ist auch nicht gerade folgender VW-LT mit deutschem Kennzeichen, der wie eine Trophäe am Straßenrand posiert. Kannte zufällig jemand seinen Besitzer?

Mit einem dicken Knubbel in der Magengrube erreichen wir das erste größere Dorf. Will heißen: Hier gibt es einige Läden, besser gesagt Garagen die Obst, Gemüse, Schrott, Fahrradreifen, Schuhe, undefinierbares Plastikgedöns und eine Schweinehälfte feilbieten.

  

Und unglaublich viele Menschen sind da. Die queren die Straße, stehen am Straßenrand, allein, zu zweit, in Gruppen. 80 Prozent Männer. Ok, sagen wir 85 Prozent. Und alle schauen sie auf und uns hinterher. Mit großen Augen. Und ich denke: Gleich ist es soweit. Wir werden überfallen. Und dann passiert das Unglaubliche. Ein etwa 18jähriger junger Mann hebt die Hand… und winkt uns zu! Ja, er winkt und lächelt sogar dabei. Ich bin ratlos. Und erleichtert.

Auf den nächsten 30 holprigen Kilometern begegnen uns Hühner am Straßenrand, eine dicke Sau rennt uns beinahe vor die Karre und flüchtet panisch im Zickzack vor uns her, eine Frau sitzt am Straßenrand und bietet gelangweilt tote Hühner feil, fünf Pferde stehen am Straßenrand und grasen in einem riesen Müllberg, drei Kilometer später zwei Kühe im gleichen Müllszenario. All das passiert zu plötzlich, um noch rechtzeitig die gut versteckte Kamera zu zücken. Und aussteigen wollen wir beide noch nicht so richtig. Winken hin oder her.

Kühe, die nicht gerade im Müll grasen, werden in Albanien übrigens angeleint.

Müll ist ein riesiges Problem in Albanien. Zumindest wir definieren es als Problem. Die Albaner sehen es offensichtlich anders, sonst würden sie zumindest ansatzweise etwas dagegen tun. Ich habe im Leben nicht daran geglaubt, dass Menschen sich und ihre Umwelt so zumüllen könnten Es gibt keinen Landstrich ohne Müllberge, keine Straßenecke ohne Müll. Es ist wirklich unglaublich vermüllt.

 

Ansonsten fallen uns die durchgehend improvisierten und schlechten Straßen und Brücken auf. Mit einer solchen Infrastruktur kann das Land sich wirtschaftlich kaum entwickeln. Später lesen wir, dass bis zum Ende des sowjetischen Einflusses Anfang der 90er Privatleute keine Kraftfahrzeuge besitzen durften. Somit gab es auch gar keinen Bedarf, Infrastruktur zu entwickeln.

        

20 Jahre später ist der PKW offensichtlich noch Luxusgut und Statussymbol. Oft sieht man ausrangierte Mercedesse aus Deutschland, nicht selten noch mit dem Deutschland-D darauf. Die, die noch kein Auto haben, fahren mit dem Pferdekarren, dem Moped oder mit dem Taxibus. Dafür stelle man sich einfach an den Straßenrand. Ich kenne ein ähnliches System aus der Türkei.

        

Bei der Bahn gibt es massive Investitionsstaus. Ganze vier Bahnlinien auf einer Gesamtlänge von rund 400 Kilometern werden derzeit für Personenverkehr betrieben. Und es gibt eine Linie für Güterverkehr nach Montenegro. Laut Wikipedia wurden Vorhaben zur Verbesserung der Infrastruktur und der Sicherheit an Bahnübergängen auf Eis gelegt. Die Finanzierung war nicht gesichert.

  

Nach guten 40 Kilometern erreichen wir die erste Stadt. Und dort sehen wir auch den ersten Wegweiser. „Tirana“ steht darauf. Sehr gut, genau dahin wollen wir. Das scheint auch ein älterer Herr an der nächsten Straßenecke zu ahnen. Der winkt uns freudig zu und wedelt dann in die Richtung, in die wir abbiegen sollen. Männer stehen übriges in Albanien überall an den Straßen. Und das jederzeit, offensichtlich den ganzen Tag lang. Sie treffen sich, erzählen sich was. Manche spielen. Oder sie machen Geschäfte, wer weiß das schon.

         

Wir fahren weiter über Landstraßen, die peu à peu besser werden. Die Orte scheinen reicher, je näher wir der Hauptstadt kommen. Straßenhändler verkaufen mittlerweile auch lebende Tiere.

  

Jetzt fallen mir andere Dinge auf: Es gibt zahllose Bauruinen an den Straßenrändern. Privathäuser, deren Grundsteine gelegt und Treppenhäuser gebaut sind. Plötzlich hörten die Besitzer auf. Aus welchem Grund? Grob überschlagen schätze ich, auf drei fertige Häuser kommt eine Bauruine. Dazu kommen die vielen Häuser, in denen das Geld zumindest für das Erdgeschoss reichte.

  

Und wieder passiert etwas überraschendes. Wir sind plötzlich auf einer Autobahn. Eine richtige Autobahn. Aber irgendwas ist anders… vielleicht die vielen Menschen auf dem Standstreifen… die da laufen, uns mit dem Moped oder Fahrrad entgegenkommen. So richtig vertraut scheint den Albanern das Prinzip noch nicht zu sein. Und wir witzeln, dass in Deutschland schon längst eine Radiodurchsage gekommen wäre: „Achtung, auf der A 40 zwischen Moers Ost und Kreuz Moers befinden sich Personen auf der Fahrbahn!“.

     

Tirana erreichen wir kurz nach Einbruch der Dunkelheit. Viele Menschen, viele Autos auf den Straßen. Aber irgendetwas ist anders… was nur? Ich grübele und dann fällt es mir auf: Es gibt keine Straßenbeleuchtung! Wir fahren durch improvisierte Stadtviertel mit zahlreichen Bauruinen. Tirana zählt heute rund 645.000 offizielle Einwohner. Etwa so viele hat Bremen inklusive Bremerhaven. Vor zehn Jahren lebten nur halb so viele Menschen in der Hauptstadt. Vor 20 Jahren nur etwa 240.000 Frauen und Männer. Mit dem Ende der Sowjetunion begann eine große Landflucht in Albanien. Die Vorortorte Tiranas entwickelten sich schneller, als Infrastrukturprogramme nachbessern konnten. Es wird vermutet, dass weit mehr Menschen hier leben, als offiziell bekannt ist.

Im Zentrum gibt es dann doch Laternen. Und ein atemberaubendes Verkehrschaos. Es gilt das Recht des Stärkeren. Verkehrszeichen sind grundsätzlich nur Angebote.

Es gibt übrigens keine Supermärkte in Albanien. Zwei Conads haben wir entdeckt – die kenn ich aus Südtirol. Ansonsten nix – kein Carrefour, Lidl, Megamarché. Zu unserer Überraschung entdecken wir dann einen Praktiker-Baumarkt. Der ist sogar gut besucht – das zeigt uns der Parkplatz. Ich frage mich nur, was die Leute kaufen, wenn die Regale leer sind…

Wir erreichen das Zentrum Tiranas und parken für die Nacht an dem einzigen Ort Albaniens, den wir für 100%ig sicher erachten: Direkt vor dem Parlament im Regierungsviertel. Wir beginnen einen Streifzug durch die Gemeinde, entdecken nostalgische Sowjet-Architektur, einen MCDonald´s-Imitat und kommen ins Gespräch mit wirklich freundlichen Menschen. Wir können es nicht fassen, dass die Leute hier tatsächlich noch etwas zum Lachen haben und freuen uns über die Freundlichkeit.

     

Die Nacht verlief ohne weitere Zwischenfälle. Wir wurden nicht ausgeraubt. Nicht bedroht. Nicht ermordet. Voller Euophorie entscheiden wir uns für eine weitere Nacht in diesem fremden Land und legen einen Zwischenstop in Vlore am Meer ein. Auch hier parken wir an einem der belebtesten Orte der Stadt, mitten in der Ausgehmeile.

Karsten braucht nach rund 150 Albanien-Kilometern erstmal einen Mittagsschlaf. Und ich traue mich, einmal die Einkaufsstraße rauf und wieder runter zu laufen. Was mich an diesem Land am meisten irritiert, sind die fehlenden Frauen. Auf etwa 10 Männer auf der Sraße kommen 1-2 Frauen. Die sind in der Regel blutjung und gestylt. Entspannt und unaufgeregt stolzieren sie durch den Müll und durch die Männertrauben. Diese Entspanntheit in dem Blick dieser hübschen albanischen Frauen passt für mich einfach nicht zu dem Rest des Szenarios. Alle anderen Frauen sind weit über 50. Wo sind die Frauen in meinem Alter? Ich sehe keine. Ich fühle mich wie eine Außerirdische und so werde ich auch angeschaut. Mit meinen Turnschuhen, den hellen Haaren und als fast Mittdreißigerin passe ich so gut in diese Straßenmeile wie ein Vegetarier in den oben erwähnten MCDonald’s-Verschnitt. Als angenehmes Refugium empfinde ich das einzige Straßencafé, in dem auch Frauen sind. Und zwar nur Frauen. Der albanische Kaffee ist übrigens ausgezeichnet.

Abends machen Karsten und ich noch einen Strandspaziergang. Ich frage mich, was hier so stinkt, und merke, es ist das Meer.

Am nächsten Tag beschließen wir, dass wir einfach nicht zu diesem Land passen. Wir wollen nach Griechenland. Schnellstmöglich. Selbst wenn wir ab sofort von unserer Leserschaft als Weichspültouristen abgestempelt werden.

Für die nächsten 150 Kilometer bis zur Grenze brauchen wir geschlagene fünf Stunden. Je weiter wir uns von der Hauptstadt entfernen, umso schlechter werden die Straßen wieder. Wir fragen uns, was eigentlich all die Männer so machen, tagein tagaus. Da, wo vermeintlich eine Straße gebaut wird, stehen die Maschinen still, und kein Mensch ist zu sehen. Morgens, halb zehn in Albanien:

Die letzten 50 Kilometer schnüren uns dann noch einmal so richtig die Kehle zu. Wir fahren durch ein Gebiet mit Erdöl- und Gasvorkommen. Wir haben schon vorher gelesen, dass die Gewinnung dieser Rohstoffe kaum erschlossen ist. Aber so haben wir uns das nun doch nicht vorgestellt. Die Luft stinkt nach Rohöl. Die Pumpen sind verdreckt, das Öl fließt in die Landschaft, die Raffinerien sind verrostet und die Seen und Flüsse schimmern farbig ob ihres Ölschleiers. Und als es plötzlich nach Gas riecht, wir nervös stehen bleiben und sämtliche Gasquellen im Bus auf Defekte untersuchen, merken wir, dass nicht wir das sind. Die ganze Landschaft stinkt nach Gas.

        

Die Ausreise klappt problemlos. Mit jedem Meter fällt die Last der Eindrücke von uns ab. Die Passkontrolle winkt uns schnell durch. Und dann erlöst uns der griechische Zollbeamte mit sympathischem  Dialekt, als er ruft: „Hallo mein Freund, wo willst du hin?! Du machst Urlaub? Es ist Winter!“ Und zum ersten Mal seit drei Tagen lachen wir wieder von Herzen.

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