Rückzug

Ich fühle mich wie Neil Armstrong auf dem Rückflug vom Mond, oder besser, wie die Grande Armée auf dem Rückzug von Moskau. Um uns herum tiefer Herbst, der sich durch matschige Feldwege ins Profil der Reifen quetscht. Das Auto und die Crew sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Alles wird provisorisch durch Panzerband zusammengehalten. Im LT-eigenen Rhythmus haben wir alle 1.000 Kilometer ein Problem oder Problemchen: undichte Dichtung am Differenzialgetriebe, Auspuff gerissen, Unterbrecherkontakt verstellt, Kontakte in der Elektrik losgerappelt. Und wenn man beim Fahren genau hinhört, kann man schon die nächsten technischen Herausforderungen erahnen.

 

Wir brettern entlang des 56. Breitengrades gen Westen. Die Zeitzonen fallen wie Dominosteine. Manchmal sind wir unsicher, wie spät es eigentlich ist. Die Landschaft präsentiert sich als ein eintöniges Feld-, Wiesen- und Waldagglomerat. Wahrscheinlich könnte man die Welt auf dieser geografischen Breite umrunden, und außer ein paar unwesentlichen Wasserüberquerungen sähe es überall gleich aus.

     

Zwischen dem landschaftlichen Grün in Grau und Blau tauchen alle ein bis zwei Tankfüllungen plötzlich riesige Millionenstädte mit Hochhaussiedlungen am Rand auf. Ekaterinburg, Perm, Kazan, Niznij Novgorod. Auf der Karte sehen sie aus wie der letzte Verteidigungswall gegen den ewigen Winter. Nur Stockholm, Oslo, Helsinki und St. Petersburg liegen nördlicher, aber diese Städte haben ja auch unfairerweise ein Meer vor der Tür.

Ekatarinburg (hier wurde die Zarenfamilie von den Bolschewiken gelyncht):

     

Kazan (eine Enklave der Tataren, daher die Moschee mitten im Kreml der Stadt):

     

In den Städten Hochzeitsgesellschaften, bayrische Bierhäuser, Wände aus Wodka und glückliche Ölkäufer:

     

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