„Welcome to Kazakhstan!“

Ich stehe in einer mit Reisenden überfüllten Halle an der Grenze Kirgistan – Kasachstan. Sechs Schalter mit dem Hinweis „Passport Control“ sind geöffnet. Reisende ohne eigenes Fahrzeug – dazu zählen auch Beifahrer – müssen hier durch. Fahrer passieren die Grenze mit ihrem Fahrzeug an dem  Schalter draußen.

Menschen mit unterschiedlichsten Haut- und Haarfarben, Gerüchen, junge und alte Frauen und Männer, Kinder, drängeln vor den Schaltern und reden, schnauzen, rufen auf Kirgisisch, Kasachisch, Russisch, Englisch… Als ich endlich an der Reihe bin, schiebe ich meinen Reisepass durch den Schlitz in der Glasscheibe. Der Grenzbeamte ist mürrisch. Ich bin skeptisch. Was passiert jetzt? Vielleicht gibt es Probleme mit dem Visum. Vielleicht „Straf“, für was auch immer. Er nimmt den Pass, betrachtet die Vorderseite. „Guten Tag“, begrüßt er mich in meiner Muttersprache. Ich bin überrascht. Er blättert langsam durch den Pass. Sein Blick wird erst konzentriert, dann grimmig. Er tippt – nein, hackt – etwas in den Computer. Fordert mich auf, in die Kamera zu blicken. Ich werde ein wenig nervös, hinter mir drängelt eine etwa 65jährige Russin mit Alkohol- und Nikotinfahne. Der Grenzer wird energisch. Weist sie in die Schranken und knallt mir einen Stempel in den Pass. Er schließt den Pass langsam, bedächtig. Sein Blick wandert, schaut mir zum ersten Mal in die Augen. Ein langer Moment, eine kleine Ewigkeit passiert nichts. Ich halte den Atem an. Jetzt wird sein Blick heller. Er verzieht seinen Mund zu einem Lächeln und sagt: „Welcome to Kazakhstan!“

Nein, kein Werbespot des kasachischen Tourismusministeriums. Das war tatsächlich meine Einreise Kasachstan die Zweite. Nach diesem  Empfang überlege ich kurz, ob ich unsere Kasachstan-Flagge – ich hatte sie in Schymkent bei einem Straßenverkäufer erworben – doch wieder in die Windschutzscheibe kleben sollte. Verwerfe den Gedanken aber gleich wieder. Denn ich bleibe angespannt. Vor den Toren muss ich in sengender Hitze mit hunderten Reisenden, Angehörigen und marktschreierischen Taxifahrern („Almaty! Schu! Dingsbums!“) auf Karsten, Loukas und den Bus warten.

Die Kasachstaner trennen Fahrer und Beifahrer an ihren Grenzen. Mich macht das sauer. Was passiert, wenn einer schon drin ist im Land, der andere aber nicht reindarf, weil vielleicht etwas mit den Zollpapieren nicht stimmt oder mit dem Hund oder so? Und der andere kann nicht mehr zurück, weil er dann ein neues Visum für die nächste Einreise braucht? Von allen Grenzen auf unserer Reise wurde das bislang nur in Kasachstan so gehandhabt.

Während ich auf Karsten warte, kaufe ich mir in einem Kiosk eine Cola. Dort will ein kasachischer Grenzbeamter in seiner Frühstückspause lustiges „Deutsche-Automarken-Raten“ mit mir spielen. Das ist ein sehr beliebtes Spiel hier in Zentralasien, besonders bei Offiziellen. Manchmal auch ersetzt durch die etwas anspruchsvollere Variante „Deutsche-Fußballspieler-Raten“. Ich bin immer wieder überrascht, wie viel die Menschen hier über Deutschland wissen (mal abgesehen von dem Tankstellenwart, der mich fragte, ob ich in der BRD oder der DDR wohne). Ich muss gestehen, dass ich nach sechs Wochen im Land immer noch nicht weiß, ob Kasachstan überhaupt eine Fußball-Nationalelf hat. Ich bin erleichtert, als der karibikgrüne Bus nach einer Stunde endlich durch das Grenztor auf mich zu rauscht.

Wir möchten Kasachstan jetzt zügig Richtung Norden durchqueren, um dann nach Westsibirien in  Russland – zwischen Ural und Altai – auszureisen. Die ersten 1.400 Kilometer bis in die kasachische Hauptstadt Astana müssen wir in maximal fünf Tagen gemacht haben, um uns registrieren zu lassen. Tun wir das nicht oder zu spät, riskieren wir eine horrende „Straf“ und ellenlange Verhöre bei der Ausreise. So zumindest warnen unser Reiseführer und die Mitarbeiter des Deutschen Konsulats in Almaty. Hinter Astana sind es nur noch 500 Kilometer bis zur russischen Grenze. Auch unser Visum weist uns in die zeitlichen Schranken. Es endet am 12. September. Und da wir ja nie wissen können wie schlecht oder gut die Straßen sind und ob wohlmöglich noch eine größere Panne dazwischen kommt, ist es klüger, zügig voran zu kommen. Für Visaüberschreitungen geht man hier nämlich in den Knast, habe ich gehört. Zwar nur einen Tag, aber immerhin. Wir trafen eine Schweizerin, die am gleichen Nachmittag noch eine Gerichtsverhandlung vor der Brust hatte. Sie war eine Woche drüber, weil sie ihr Transitvisum für Russland nicht rechtzeig bekommen hat.

Die letzten Tage oder Stunden in der Steppe genieße ich trotzdem. Diese Weite werde ich vermissen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemein, Kasachstan veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.