Der lauteste Berg im Tien Chan

Nachdem Radek mit seinem Freund Marek nach Bischkek gefahren war, um ihn dort zu verabschieden, kam er wieder zurück zu unserem Standplatz am Issyk Kul. Marek hat im Gegensatz zu Radek, der seinen Job als Bauleiter komplett gekündigt hat und mehr als ein Jahr reisen will, nur zwei Monate Urlaub genommen. Wir waren in der Zwischenzeit auf einem Touri-Festival am Song Kul gewesen und kamen zeitgleich mit Radek wieder am Issyk Kul an.

Als Kletterer und Bergsteiger war Radek genauso fasziniert von dem Gedanken, einen richtig hohen Berg zu besteigen, wie ich. Also bemühten wir alle Karten, die wir in unserem Basislager am See zur Verfügung hatten, und Google Maps, um einen entsprechenden Berg in der Gegend zu finden. Das Basislager bestand aus Haimo und Mariolein, die wir zuerst in Almaty getroffen hatten, mit ihrem allradgetriebenen Mitsubishi L300, Radek mit seiner Honda Africa Twin und kurzfristig auch aus Petra, Mustafa und Jonas aus Deutschland, die mit ihrem Pickup noch nach China und Südostasien wollen (www.home.vr-web.de/fernweh, www.dersonnenentgegen.blogspot.de). Für eine Nacht gesellte sich noch Pedro, ein gebürtiger Spanier aus der Schweiz, mit seiner Yamaha XT 600 hinzu. Trotz Kamerainflation fehlen leider entsprechende Fotos.

 

Nach kurzer Zeit stand fest: Wenn wir in einem Tagesmarsch auf einen 5.000er wollten, dann brauchten wir eine hohe Ausgangsposition. Die Straße zur Goldmine, die sich auf fast 4.000 Metern befand, fiel ins Auge wie ein Zaunpfahl. 15 km nördlich der Mine lag ein Berg mit über 5.200 und 10 km südlich einer mit 5.139 Metern. Da wir nicht wussten, wie nah wir an die Mine heranfahren konnten, wählten wir den südlichen Gipfel aus, den ich jetzt in Ermanglung des richtigen Namens Pik Goldmine nenne. Die Karte zeigte eine Abzweigung der Straße zur Goldmine. Diese Abzweigung führte südlich an Pik Goldmine heran. Die Koordinaten des Gipfels lauten: 41.821127,78.201238.

Am Mittwoch, den 15. August, brachen dann Haimo und Mariolein mit Sylvia und Loukas in ihrem Auto, Radek auf seiner Africa Twin und ich auf der BMW auf, um das entsprechende Höhenlager zu finden. Die Schranke, an der wir Tage zuvor noch jeder 50 Som abdrücken mussten, war nicht besetzt, und so war unser Konvoi in kurzer Zeit auf einer Hochebene von ca. 3.700 Metern. Wir bogen wie geplant von der Straße zur Goldmine ab und querten den Pass auf 4.000 Metern, den Radek, Marek und ich bereits mit den Motorrädern befahren hatten.

     

Kurz hinter dem Pass kam zunächst eine Furt über einen kleinen Bach, und dann war die Straße durch einen breiten Gletscherbach unterbrochen. Auf der Suche nach einem Übergang trafen wir einen Halbnomaden, der uns das Melken seiner Stute vorführte. Er erklärte uns, wir müssten bis zur Goldmine fahren und kurz vorher abbiegen. Dann käme eine Brücke.

     

Also zurück über den Pass ins Nachbartal und trotz einschränkender Beschilderung weiter auf der Straße zur Mine. Tatsächlich kamen kurz vor der Mine eine Abzweigung und wenig später auch die Brücke über den Gletscherbach. Dort fanden wir auch unser Nachtlager, zufällig genau am nordwestlichen Fuße des Pik Goldmine.

     

Die Nacht auf 3.700 Höhenmetern wurde kalt, und am nächsten Morgen zierte Eis unsere Zelte. Radek und ich brachen um sechs Uhr auf. Die Sonne war bereits auf den ersten Gipfeln zu sehen. In dreieinhalb Stunden quälten wir uns quer über ein riesiges Geröllfeld auf den ersten Grat. Die Entfernungen im Hochgebirge kann man leicht unterschätzen.

     

Auf der anderen Seite des Grates überquerten wir ein großes Gletscherfeld, dessen unteres Ende in die Goldmine mündete. Deutlich konnte man jetzt die Abbauarbeiten und Sprengungen hören. Mit immensem Aufwand wird ein ganzer Berg abgetragen und durch den Fleischwolf gedreht. Die Mine trägt 16 % zum Gesamteinkommen des Landes bei.

     

Für das Gletscherfeld und das Erklimmen eines weiteren Grates mit einer kurzen Kletterpassage (ca. sieben Meter, Schwierigkeit II-III) benötigten wir weitere eineinhalb Stunden. Nun war es bereits elf Uhr und der Gipfel noch immer 600 Höhenmeter entfernt. Ein steiles 300 Höhenmeter fassendes Schneefeld zu einem Vorgipfel bezwangen wir in etwas mehr als einer Stunde. Nun machte sich unsere etwas unterdimensionierte Ausrüstung bemerkbar. Radek war in Motorradstiefeln unterwegs und mit meinem Eispickel bewaffnet. Ich hatte meine Bruce-Willis-Wanderstiefel angezogen und zwei Wanderstöcke in den Händen. Zudem hatten wir Klettergurte umgeschnallt und waren mit einem 20-Meter-Seil gesichert. Doch der weiche Schnee erlaubte uns, Stufen zu schlagen.

     

Auf dem Vorgipfel auf 4.800 Metern war dann klar, dass dieser für uns die Endstation bedeutete. Die letzten 300 Höhenmeter verliefen über einen schmalen, ausgesetzten Grat, der auch noch mit einem Schneeüberhang versehen war. Um diesen sicher zu gehen, hätten wir früher hier sein müssen. Der Schnee war um die Mittagszeit bereits zu weich, und es bestand die Gefahr, dass der Überhang abricht. Zudem hätten wir beide Steigeisen und Eispickel benötigt. Hinzu kamen unsere Erschöpfung und der Ausblick auf den langen Rückweg.

 

Also machten wir die obligatorischen Gipfelfotos. In der Ferne konnten wir den anderen 5.000er nördlich der Goldmine erkennen. In südlicher Richtung sahen wir die Bergkette, welche die Grenze zu China markierte.

     

     

Der Rückweg bis zum großen Geröllfeld verlief zügig. Auf dieser Höhe ist der Kontrast von bergauf zu bergab aufgrund des mangelnden Sauerstoffs riesig. An einigen Stellen waren wir dreimal so schnell unterwegs wie auf dem Hinweg. Statt das Geröllfeld wie beim Aufstieg längs zu queren, stiegen wir es einfach bis zu dem weiter unten parallel verlaufenden Gletscher ab und gingen auf dem spaltenfreien Gletscherfeld zurück.

     

Gegen 16.30 Uhr erreichten wir unser Übernachtungslager und trafen Sylvia, Haimo, Mariolein und Loukas, die auch gerade von einer Wanderung zum Gletscher zurückgekommen waren. Wir bauten unser Lager ab und fuhren die Goldminenstraße hinunter ins Tal, wo unser Bus auf uns wartete.

     

Für mich war das der höchste Berg auf dieser Reise. Richtig hoch war er nun auch wieder nicht, doch gemessen an unserer Vorbereitung und Ausrüstung schon ein kleines Glanzstück. Zumindest ist mir nun klar, wie das Hochgebirge funktioniert. Alles ist etwas größer, so dass man mehr Zeit und Übernachtungen im Zelt einplanen muss. Und die Seilschaft mit Radek war optimal, was einen weiteren Versuch in mittelbarer Zukunft in Aussicht stellt.

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