Issi(k) cool!

Dieser für Außenstehende vielleicht etwas fantasielos anmutende Kalauer, amüsiert uns derzeit prächtig. Seit zwei Tagen issi(k) alles irgendwas: cool, weit, nah, schnell, teuer, issi(k) günstig… Quell unserer Freude (und des Kalauers) ist der Issyk-Kul, mit 180 x 52 Kilometern der zweitgrößte Hochgebirgssee der Welt. Dieser liegt seit einigen Stunden zu unseren Füßen. Obwohl ich seine Maße kannte, hatte ich mir nicht ausmalen können, wie groß er wirklich ist. Er ist wirklich unglaublich groß…

Der See gehört zum Biosphärenreservat Issyk-Kul. 500 Com (ca. 8,50 €) Ökosteuer kostet die Einfahrt. Für hiesige Verhältnisse vermutlich kein Pappenstiel. Wenn ich vergleiche: Habe gestern auf dem Markt in Bischkek für den gleichen Preis 1 kg Tomaten, 1 kg Paprika, 2 Brote (gelagert in einem 60er Jahre Kinderwagen),  eine 3 kg-Melone, 500 g Gurken, 3 große Auberginen, 500 g Linsen und zwei Dosen Bier bekommen.

Die 240 Kilometer von Bishkek zum Issyk-Kul waren geschmeidig. So geschmeidig, dass ich aus Langweile ein paar Extrafotos aus dem Fenster geschossen habe. Besonders kreativ fand ich, wie die kargen Hügel als Werbeflächen umgenutzt wurden. Ich hoffe nicht, dass das hier irgendwann einmal eskaliert.

       

In Jurten am Wegesrand bieten kirgisische Frauen Dörrfisch, Kumys und Kurt an. Kumys ist gegorene Stutenmilch, Kurt sind kleine Knabberbällchen aus gegorener Stutenmilch. Ich hab beides versucht – widerliches Zeug, issi(k) nix für meinen westeuropäischen Gaumen. An anderen Straßenabschnitten bieten Anwohner das feil, was in ihren Gärten wächst. Diese Form des Straßenhandels werde ich in Deutschland vermissen. In fast allen Ländern die wir bereist haben, verkaufen die Menschen ihre Gartenfrüchte auf diese Weise. Dann gab‘s noch einen gut beladenen Heulaster, eine Schule und ein Selbstportrait vom Beifahrersitz.

        

Einen Zwischenstop – etwa 70 Kilometer hinter Bischkek – legten wir in Burana ein. Diese ehemalige Hauptstadt der Karakhaniden wurde im 13./14. Jahrhundert allmählich aufgegeben und verfiel. Heute steht noch der Stumpf eines Minaretts, der auch bestiegen werden kann. Interessant fand ich die Organisation des Freilichtmuseums: Um Zutritt zu dem Turm zu bekommen ging ich in das Büro. Dort saßen drei Frauen beim Plausch. Ich zahlte 40 Com pro Person (ca. 0,65 €) und holte mir den Schlüssel. Besucher, die nach mir kommen, müssen warten, bis ich den Turm bestiegen und den Schlüssel wieder in das Büro zurückgebracht habe. Dann können sie den Schlüssel mitnehmen und so weiter. Auf der einen Seite umständlich für die Gäste (eine der Frauen hätte sich ja auch einfach mit der Kasse vor den Eingang des geöffneten Turms setzen können). Auf der anderen Seite auch irgendwie sympathisch weil vertrauensselig. Zum einen haben sie die Anzahl der Besucher nicht kontrolliert, dich ich beim Kartenkauf angegeben habe. Zum anderen haben sie mir mal eben den Schlüssel zu einer bedeutenden Sehenswürdigkeit des Landes in die Hand gedrückt. Außer dem Minarett gab es noch so genannte Balbals zu sehen. Das sind gesammelte Steinfiguren aus der Umgebung, die – so schreibt mein Reiseführer – vermutlich Bildnisse getöteter Feinde darstellen. Die Jurte beherbergt einen Souvenirladen, den ich nicht selbst aufschließen musste. Eine weitere Sensation war eine Kuhherde im Kanal vor dem Freilichtmuseum. In den umliegenden Feldern ernteten die Menschen Erdbeeren und machten Heu.

       

Der Tag begann bereits einige Stunden vorher mit einem kleinen Abenteuer. Wir hatten am Vorabend etwa 50 Kilometer östlich von Bischkek auf einem brachliegenden Acker zwischen Maisfeldern einen Schlafplatz gesucht. Und uns dabei im Matsch festgefahren. Da es schon dämmerte und die Mücken über uns herfielen, verschoben wir die Freifahr-Aktion auf den Morgen danach. Dort übernachten wollten wir ja eh. Mit kreativem Einsatz von zwei Wagenhebern, zwei Sandblechen einem (ehemaligen) Kuchenblech, einer Schaufel und der Unterstützung von zwei  türkischen Feldarbeitern gelang uns die Rettungsaktion nach rund einer Stunde. Das war wieder mal so aufregend, dass ich keine Fotos gemacht habe. Dafür gibt es Fotos von Hanfpflanzen, die hier überall an Wege- und Feldrändern wachsen.

  

Bevor wir uns am Abend festgefahren hatten, haben wir in Bischkek noch ein paar Dinge erledigt. Zunächst haben wir Geld besorgt. Laut diverser Quellen gibt es nur in Bischkek und in Osch Geldautomaten. Dann waren wir auf der Suche nach einer Sim-Karte für’s Internet und wurden in einem Einkaufszentrum fündig, in dem es außer Mobiltelefonkram nichts anders gab. Es ist schon erstaunlich wie hunderte Lizenznehmer von gerade einmal drei oder vier unterschiedlichen Telefongesellschaften hier um den besten Preis oder Service konkurrieren. Für 1.200 Cum (20 €) haben wir schließlich eine Sim-Karte mit Telefonnummer (Verkäuferin: „Please choose your telefone number.“, Karsten: „I don´t care. Give me anyone.“, Verkäuferin stark verunsichert zeigend auf eine Nummer: „Do you like this number?“ – Karsten an der Nummer völlig desinteressiert nachdrücklich: „Yes, I like this number.“) und 2 GB Datenvolumen erwerben können (Anbieter: Megacom, APN: internet).

Bei einem Spaziergang durch die sehr grüne Stadt sahen wir den Bahnhof, der von deutschen Kriegsgefangenen gebaut worden ist, die Statue von General Frunze, nach dem die Stadt einige Jahrzehnte benannt war, ein Plakat für Müllerziehung und ein Mädchen, dass gerade Fahrrad fahren lernte. Und wir trafen Nicolai aus Polen, der nach eigener Aussage „the best man of the world“ ist. Um ihn zu treffen, musste ich also erst einmal nach Bischkek kommen. Er ist Schriftsteller und offensichtlich sprachbegabt – er gab der jungen Dame links gerade Englischunterricht.

       

  

Unser erster Eindruck von Bischkek ist durchweg positiv. Alles ist irgendwie entspannter, offener, freundlicher: Passanten, Polizisten, Städtebau, Verkehr. Lediglich an Knotenpunkten war es etwas unübersichtlich. Weil alle noch „schnell rüber“ wollen über die Kreuzung, geht hier nix mehr. Stillstand in alle Richtungen. Am Ortseingang warten Passanten darauf, von Autofahrern mitgenommen zu werden.

  

Richtig gut kam zudem der Scherz eines Militärpostens nicht bei mir an, der auf mich „aufpasste“ während Karsten mit der Verkehrsstreife lustiges „deutsche Automarken raten“ spielte. Mit der MP im Anschlag deutete er auf dem im Auto verbliebenen Loukas. Ich könne ihn doch besser hier bei ihnen lassen, er würde dann „bumm bumm“ machen. Er amüsierte sich prächtig, als er mit der MP pantomimisch nachzeichnete, wie er einen fortlaufenden Hund abknallt. Es klingt für Außenstehende sicher kaum nachvollziehbar wenn ich versichere, dass selbst dieser dubiose Polizei- und Militärposten angenehmer war als jede der gefühlten 175 Polizeikontrollen in Kasachstan.

Am Grenzübergang Leninska (Korday – Bischkek) sind wir rüber nach Kirgistan. Die Einreise war locker flockig. Beim Zoll die Zollerklärungen für die Fahrzeuge ausfüllen, eine englischsprachige Grenzbeamtin half. Dann durch die Kontrolle. „Habt ihr schon einen Ausreisestempel? Nein? Moment, ich mach das für euch!“ Der Grenzbeamte verschwand in die „Einreisehalle“ und besorgte uns die Stempel. Er erklärte uns noch, dass wir jetzt keine Visa mehr bräuchten (das hatten wir schon einige Tage vorher von Haimo und Mariolein erfahren) und wir nun 60 anstatt nur 30 Tage im Land bleiben könnten. Gute Reise!

Die Ausreise aus Kasachstan war dagegen weniger spaßig. Fahrer und Beifahrer müssen sich hier trennen. Während Karsten mit den Fahrzeug- und Zollpapieren zwischen verschiedenen Schaltern hin- und herflitschte und sich diverse Stempel abholen musste, stand ich in einem Pulk von Menschen, die alle einen Ausreisestempel haben wollten. Es wurde gedrängelt, gerufen, geschwitzt. Ich war völlig baff als mich schließlich ein Russe fragte, ob ich in der linken oder rechten Schlange anstünde. In meiner sortierten westeuropäischen Wahrnehmung stand ich in einer undefinierbaren, drängelnden Menschenmenge. Ich hatte nicht erkannt, dass es darin tatsächlich eine Ordnung gab, an die sich die Einheimischen orientierten. Erst nach dem Hinweis verstand ich die Systematik, fügte mich ein und kam dann auch tatsächlich meinem Ziel – dem Ausreisestempelschalter – näher. Dort hatte ich dann noch ein „prablem“. In meiner Migrationskarte stand unerklärlicherweise, dass ich nur bis zum 20.07. im Land bleiben würde. Es war nun aber schon der 03. August. Es kam ein Vorgesetzter. Dann noch ein Vorgesetzter. Ich glaube, nur weil es wirklich voll war sahen die Zollbeamten von einem Versuch, mir Bestechungsgeld rauszuschlagen, ab. Bei Haimo und Mariolein hatten sie es wenige Tage zuvor versucht: „You chäv big problem… I can chälp you…. Put in you passport a straf.“ Dabei hatten sie noch nicht einmal etwas falsch gemacht. Sie zahlten nicht und kamen durch. Mich ließ man auch durch. Das Datum hatte ich übrigens – darauf machte mich Karsten später aufmerksam – selbst falsch in die Migrationskarte eingetragen. Dummer Anfängerfehler. So sieht übrigens die Grenze auf kasachischer Seite aus.

Und das war am Abend vor unserer Ausreise. Rund 50 Kilometer vor der Grenze. Ein wunderschöner, einsamer Standplatz, den das Wetter – als wäre es ein Versöhnungsgeschenk zum Abschied – in atemberaubendes Licht hüllte. Issi(k) cool, oder?

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