Ein Abend in Moldawiens Hauptstadt Chisinau

Der Typ mit der Brille hat mir schon hinterher gepfiffen, als wir zum ersten Mal an der Kneipe vorbei kamen. Ich fand´s super und dachte mir: „Hier könnte es nett werden.“ Aber Karsten und Sylvia gehen weiter. Aus der nächsten Tür duftet es verlockend. Große Pinguine verteilen dampfende Futternäpfe. „Ja! Super“, rufe ich. Aber die beiden verstehen nicht und kehren um. Wieder die Kneipe. Davor sitzen viele Menschen und bellen durcheinander. Die Weibchen haben ganz schön wenig Fell. Meine Menschen setzen sich an den Tisch mit dem netten Brillen-Typ, zwei weiteren Männchen und einem Weibchen. Ich lege mich zufrieden unter den Tisch. Erst dann merke ich, dass mich Sylvia daran festbindet. Ich ärgere mich maßlos über diesen hundeverachtenden Akt der Freiheitsberaubung.

Perspektivenwechsel. Alle Tische sind besetzt. Also fragen Karsten und ich die Vier, ob wir uns dazu  setzen dürfen. Loukas wedelt mit dem Schwanz. Zumindest so lange, bis ich ihn an den Tisch festbinde. Er hat die charmante aber äußerst anstrengende Angewohnheit, jeden Passanten schwanzwedelnd zu begrüßen und abzuknutschen. Wir bestellen zwei Bier, und aus der Speisekarte wähle ich blind ein Überraschungsmenü. Die mit würzigem Fleisch gefüllten Teigtaschen sind super. Der Gemüsereis passt nicht wirklich als Beilage, aber es ist ja auch ein Experiment. Für umgerechnet 2,50 Euro ein äußerst preiswertes.

Dann beobachten wir, wie die drei Jungs und das Mädel allesamt ihre Köpfe unter den Tisch stecken. Ich wundere mich und schiebe es auf den wohl fünf Liter fassenden Bier-Pokal, aus dem die Runde trinkt. Dann wundere ich mich noch mehr, weil ich zwischen den Köpfen einen weißen Schwanz wedeln sehe. Loukas!? Der Hund hat tatsächlich aus Langeweile seine Leine durchgeknabbert! Die Vier sind ganz entzückt und schon ist eine nette Konversation im Gang.

Liviu (links) ist Kellner und Türsteher. Olek (mit der Brille) arbeitet für Cricova, der bedeutendsten Kellerei in Moldawien. Später sollte ich noch mit einem Kollegen von ihm telefonieren, der versicherte, dass selbst Jacques Chirac schon mal zur Weinprobe kam. Ira studiert Textildesign in Chisinau, leider spricht sie kein Englisch. Sasha ist Iras Freund, wohnt seit kurzem in Chisinau, arbeitet aber in einer Bar an der Krim. Olek und Sasha sind der Meinung, dass wir Moldawien nicht verlassen dürften, ohne einen echten Cricova-Wein probiert zu haben. Und während Olek eine gute Flasche besorgt, bemerken wir, dass Loukas verschwunden ist.

Perspektivenwechsel. Was für ein Spaß! Als Olek in die Kneipe geht, um den Wein besorgen, häng ich mich dran. Super Gelegenheit, um mal herauszufinden, was drinnen so abgeht. Als ich wieder rauskomme, sitzt niemand mehr am Tisch. Ich erschrecke mich. Sie sind doch noch nie einfach so weggelaufen! Dann sehe ich sie an der Straße stehen. Sie gucken durch die Gegend, pfeifen und rufen meinen Namen. Ich bin erleichtert.

Perspektivenwechsel. Ich hatte es mir schon gedacht, ihn drinnen aber nicht gefunden. Zum ersten Mal hatte ich richtige Angst um ihn. Er ist noch nie weggelaufen, deswegen konnte ich es mir einfach nicht vorstellen, dass er ausgerechnet in der Hauptstadt Moldawiens damit anfangen würde. Und so war es dann auch. Schwanzwedelnd und mit Unschuldsmiene kommt er aus der Kneipe gewackelt. Und er freut sich nen Ast ab, dass wir uns alle so freuen, ihn wiederzusehen. Wir beruhigen uns und trinken den hervorragenden Chardonnay, den uns Olek eingeschenkt hat. Wir prosten uns zu auf mindestens sieben verschiedenen Sprachen und die Stimmung wird noch ausgelassener. Die Truppe ist ausgesprochen herzlich, offen und lustig. Saschas  T-Shirt mit der Aufschrift E=mc² zeigt übrigens nicht seinen Hang zur Physik. Richtig interpretiert heißt es: Ich=MoldawienChisinau².

     

Als die Terrasse schließt, wollen wir uns noch nicht trennen. Olek lädt uns kurzerhand zu sich nach Hause auf Cricova-Sekt und -Cognac ein. Da Karsten aber ungern den Wagen allein stehen lassen möchte, der 100 Meter weiter in einer Querstraße steht, laden wir sie zu uns in den Bus ein. Olek holt von zu Hause Sekt und Cognac und der Rest der Truppe geht in die Kneipe, um auf ihn zu warten.

Perspektivenwechsel. Loukas pennt im Fußraum unter dem Lenkrad, Sylvia wird immer schweigsamer. Es sieht so aus, als müsste ich die Fahne für die Reisegruppe Südost hochhalten. Wir haben die Kneipe verlassen und sitzen zu sechst im Bus. Als Sasha beim Einschütten des letzten Restes Cognacs die Hälfte verschüttet, wirft er die Flasche kurzerhand hinter sich durch das geöffnete Fenster auf den Bürgersteig. Gottseidank macht keiner mehr Beweisfotos. „Rauchen“ lautet plötzlich das Kommando und alle verlassen den Bus. Ich stelle mich aus Solidarität zu ihnen. Sasha und seine Freundin Ira verabschieden sich. Olek kommt auf die wahnsinnige Idee, einen Market zu suchen und noch mehr aromatisierten Ethanol zu besorgen. Glücklicherweise sind bereits alle Verkaufsstellen in der Nähe geschlossen. Wir sehen ein, dass der Abend vorbei ist und verabschieden uns.

Das Erwachen am nächsten Tag ist die Strafe für unsere Ausgelassenheit. Wir stehen mitten in der Stadt direkt vor einer Baustelle. Die Sonne knallt auf unseren Bus. Es ist unerträglich heiß und stickig. Zwei Meter neben uns hupen Autos im Stau. Ein Presslufthammer knattert. Ich krieche auf den Fahrersitz und manövriere unser Gespann laut fluchend über den Verkehr aus der Stadt. Die Einreise in die Ukraine verschieben wir um einen Tag, stattdessen erholen wir uns an einem See. Chisinau wird uns immer in Erinnerung bleiben.

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