Türkei – feine Unterschiede

Dies ist mein erster Artikel in der Türkei. Nicht, dass es nichts zu schreiben gäbe. Vielmehr bin ich beschäftigt mit den Dingen, die passieren. So sehr, dass ich kaum noch schreiben, kaum noch fotografieren mag. Ich schaue einfach, höre, rieche und lasse den Tag passieren. Die Türkei fasziniert mich. So viele neue Eindrücke…

Die Türkei riecht nach Zimt. Das bemerkte ich gleich nachdem wir die Grenze überquert hatten.

Ein Geschenk ist ein Geschenk ist ein Geschenk. In allen möglichen Situationen werden wir beschenkt. Ich mag die Einfachheit, die Direktheit der Geschenke. Dinge des täglichen Gebrauchs, die Freude bereiten. Brot, Orangen, Walnüsse, Äpfel. Neulich halfen wir einem jungen Paar, das sich mit ihrem Auto im Sand festgefahren hatte. Dafür schenkten sie uns ein Duzend Eier. (Ich stelle mir vor, wie blöd mein Nachbar in Aachen schauen würde, wenn ich ihm für ein Gefallen Eier schenken würde.) Ein anderes Mal fuhren wir auf einer vierspurigen Küstenstraße und hinter uns lichthupte ein gelber Lastwagen. Er überholte uns, wurde dann wieder langsamer. Wir überholten ihn. Er kurbelt sein Fenster runter und winkt uns mit einem kleinen Holzschiffchen zu. In alter James-Bond-Manier drosselte ich das Tempo auf der Überholspur, ließ uns auf gleicher Höhe mit dem LKW fallen und Karsten nahm bei Tempo 50 das Geschenk entgegen.

Nähe und Kontakt. Stelle dir einen großen, menschenleeren Parkplatz vor. Du parkst ganz hinten in der Ecke, damit dein Hund aus dem Bus direkt auf die Grasnarbe hüpfen kann. Dann kommt ein zweites Auto oder ein LKW auf den Parkplatz. Wo stellt er sich hin? Richtig, zwei Meter vor deiner Motorhaube. In unserem Kulturkreis könnte man das als unangenehm empfinden oder als distanzlos bewerten. Und auch ich tu mich manchmal schwer mit dieser spontanen Nähe. Das Gefühl löst sich auf, wenn man in Kontakt kommt und der Kontakt nett ist. Wie bei den beiden LKW-Fahrern am Strand von Ephesus mit denen wir den ganzen Abend verbracht haben (Artikel Erste Kontakte). Oder wie bei Mustafa und seiner Tochter Merva, die im kleinen Dorf Helvadere in Zentralanatolien einfach nur zum Quatschen kamen.

Der anatolische Schnurrbart. Den gibt es noch, könnte aber gefährdet sein. Ich sah zufällig folgenden Werbespot für Rasierklingen im türkischen Fernsehen: Eine in aufreizender Abendgarderobe gekleidete, sehr hübsche langhaarige Mittdreißigerin geht in ein Schuhgeschäft (tut man hier offensichtlich in Abendgarderobe). Sie wird bedient von einem ebenfalls in Abendgarderobe gekleideten, vermutlich attraktiven Mann. Man weiß das nicht genau, weil der ausgeprägte Frank-Zappa-Schnurrbart das halbe Gesicht verdeckt. Was dem Schuhverkäufer jegliche Chance nimmt, bei der Dame zu landen. [Schnitt. Rasierklingen. Nassrasur. Nächste Einstellung.] Der Bart ist nun gestutzt, übrig bleibt ein dezenter aber eben immer noch vorhandener Schnurrbart. Die Dame ist schon sichtlich angetaner. Lächelt ihm zu als er ihr den Stöckel anbietet. Aber nein. Der Blick wandert ab. Doch nicht gelandet. [Schnitt. Rasierklingen. Nassrasur.  Nächste Einstellung.] Schuhverkäufer nun gänzlich ohne Schnurrbart. Neuer Flirt-Versuch – und wer sagt´s denn! Sie kann sich kaum halten vor Begehren, klimpert mit den getuschten Wimpern, fällt ihm um den Hals und beide rauschen aus dem Schuhgeschäft vermutlich in die nächste Oper. Passend angezogen sind sie ja schon.

Picknick am Meer. Picknick ist offensichtlich ein besonderes Hobby der Türken. Sonntags fahren sie mit ihren Autos ans Meer. Aber nicht so weicheimäßig, wie wir „ans Meer“ nach Holland fahren, uns auf den asphaltierten Parkplatz stellen und dick bepackt an den Strand tapern. Hier fährt man möglichst bis auf einen Meter an das Meer hinan. Dann wird der Grill rausgeholt. Kein Wunder, dass sich an solchen Sonntagen ständig irgendwo irgendwer im Sand festfährt.

   

Fantastische Bergwelt und unendliche Straßen. Es ist atemberaubend, in die anatolische Bergwelt zu verschwinden. Du fährst und fährst und fährst… kilometerweit kein Haus, kein Mensch, nur hier und da knattert ein LKW an dir vorbei. Auf den Hochebenen erstrecken sich kerzengerade Landstraßen über hunderte von Kilometern. Links und rechts Ackerland oder Ödnis. Du verlierst jegliches Gefühl für Entfernung. Du fährst und fährst und fährst. Und dann stehst du plötzlich vor einem Dorf.

   

„Bir kilo tomates lütfen. Kaç Lira?“ Ein Kilo Tomaten bitte. Wie viel Lira? Die Wochenmärkte sind der totale Knaller hier. Es macht so viel Spaß durch die bunten Stände mit dem vielen Obst und Gemüse, mit Käse und Oliven, mit frischem Fisch und Meersfrüchten zu schlendern, dass ich noch keine Zeit für ein Foto gefunden habe. Und wenn wir dort sind, kaufen wir so viel wir tragen können. Nicht nur die Qualität ist toll, sondern es ist auch unglaublich günstig.

 „Çay?“ Egal wo wir hinkommen. Ständig wird zum Çay, zum traditionellen türkischen Tee geladen. An der Straße, im Telefonladen, an der Tankstelle. Man sitzt mit dem Chef zusammen und redet. Worüber redet man? „Türkei, şok güsel!“ („Türkei, sehr schön!“). „Verheiratet?“ An der türkischen Riviera antworten wir wahrheitsgemäß „Hayir.“ („Nein.“). In Anatolien dann doch lieber „Evet.“ („Ja.“). Da sind wir opportunistisch. Nach dem Gespräch wird die Visitenkarte überreicht, die man genau studieren sollte. Dann gibt es noch ein Abschiedsfoto.

Klatschmohn zum Geburtstag. Klatschmohn ist meine Lieblingsblume. Sie ist genügsam, wächst an Feld- und Straßenrändern, ein Kulturbegleiter. Sie leuchtet wunderschön rot und ihre Blüte ist zart wie Seide. In Deutschland sieht man sie im Sommer an den Feldern stehen. Hier blüht sie schon Anfang April!

Über den Ruf der Muezzine, die türkische Höflichkeit und die Schwierigkeit Bier zu kaufen, schreib ich dann ein anderes Mal.

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