Ich erinnere mich noch gut an mein erstes Seminar Kommunikationspsychologie. Das war 1998 an der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster. Es gäbe einen grundlegenden Unterschied in der Kommunikation zwischen Männern und Frauen, sagte der Prof. „Frauen reden durchschnittlich 20.000 Wörter täglich.“ Männer deckten dagegen ihren Tagesbedarf an Kommunikation bereits nach 7.000 Wörtern. Das sei evolutionsbedingt. „Das kenn ich“, dachte ich damals. Ich denke es noch heute. Und mit Blick auf das Projekt 1 Jahr, 1 Bus, 1 Mann macht es mir ein wenig Sorge.
Ich staune jedes Mal, mit welcher Effizienz Karsten sich mit Freunden zum Bier verabredet:
Telefon klingelt.
Karsten: Jo.
Freund: Jo. Hab Langeweile.
Karsten: Ich auch.
Freund: Bier?
Karsten: Klar, komm vorbei. Danach Dumont?
Freund: Ok, bis gleich.
In 45 Sekunden ist alles gesagt. Kein Wort zu viel. Ziel erreicht.
Ich benötige für das gleiche Telefonat mindestens 15 Minuten. Das Gespräch eröffnet mit Ausdrücken der Freude darüber, dass man gerade telefoniert. Fragen zum grundsätzlichen Wohlbefinden folgen, dann einige Details zum Tagesgeschehen, schließlich Anekdoten aus dem näheren sozialen Umfeld („und dann hat sich der Kleine doch nochmal in die Hose gemacht…“). Und endlich der Vorstoß: „Eigentlich wollte ich dich fragen, ob du nicht Lust hast, irgendwo nett mit mir ein Glas Wein zu trinken.“ Dann noch rund fünf Minuten Ausdruck der Freude und Zustimmung („was für eine schöne Idee!“) und Ort und Zeit des Treffens sind vereinbart.
Diese Art der Kommunikation funktioniert mit Karsten nicht. Sie macht ihn ungeduldig. Sehr ungeduldig. Was mach ich nur mit all den 13.000 Wörtern Überschuss täglich? Kumulieren sie sich? Schwirren nach einer Woche schon 91.000 Wörter nervös in mir herum? 403.000 ungesprochene Worte nach nur einem Monat?
Laut Spiegel sollen ja im Jahr 2007 Psychologen meinen damaligen Prof widerlegt haben. Eine Studie habe gezeigt, dass Frauen und Männer im Grunde gleich viel redeten. Das glaub ich zwar nicht. Aber wer weiß was diese Reise alles mit uns macht. Vielleicht entwickelt sich Karsten in dem Projekt 1 Jahr, 1 Bus, 1 Frau zu einem echten Tratschweib… Oder ich lerne endlich mal, mich effizient zu einem Glas Wein zu verabreden.
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